Das Haus der bösen Mädchen: Roman
werde hier schier verrückt, rufe dauernd auf der Datscha an, aber das Telefon ist abgeschaltet. In Olegs Redaktion heißt es, er sei auf der Datscha. Und nun erreiche ich dich in Moskau. Was macht eigentlich Oleg? Warum ist er nicht mit euch in Moskau?«
Eine dümmere Frage war kaum denkbar. Dennoch scheute Galina nicht einmal die teuren Minuten des Auslandsgesprächs zur Fortsetzung des üblichen Familienspektakels mit dem Titel »Bei uns ist alles bestens!«
»Oleg geht es nicht gut«, sagte Xenia, »er hat zu viel gearbeitet und ist erschöpft, außerdem hatte er auf der Datscha Besuch und hat die ganze Nacht nicht geschlafen. Ehrlich gesagt, bin ich mit Mascha auch deshalb weggefahren, damit er in Ruhe schlafen und sich ausruhen kann. Ach ja, eine Bekannte von Ihnen war hier, Warja, so eine Hübsche mit schwarzen Haaren und blauen Augen. Sie brauchte dringend das Voodoo-Buch, ich hab es ihr gegeben.«
Es folgte eine längere Pause. Galina fand diese Mitteilung merkwürdig, und sie sagte langsam: »Es freut mich, dass du Warja kennengelernt hast, ihr seid ja fast gleichaltrig. Du hast doch überhaupt keine Freundinnen. Ich hoffe, du hast ihr einen Tee angeboten?«
»Selbstverständlich.«
»Worüber habt ihr gesprochen?«
Xenia verspürte eine unangenehme Kälte im Bauch. Gut, dass Galina sie nicht sehen konnte.
»Wir haben einfach geplaudert, sie ist sehr nett.«
»Na schön. Wann willst du zurück auf die Datscha?«
»Morgen.«
»Sei so gut und bestell dir ein Taxi. Ich habe dir doch wohl genug Geld dagelassen. Hast du mich verstanden?«
»Ja. Und wie ist Ihr Urlaub? Haben Sie schönes Wetter?«
»Danke, mein Kind, es ist alles wunderbar. Gib Mascha einen Kuss von mir und richte Oleg aus, er soll mich unbedingtanrufen. Denk an die Alarmanlage, wenn du wieder wegfährst. Und sei bitte vernünftiger. Versprichst du mir das?«
Xenia hatte kaum aufgelegt, da klingelte das Telefon erneut.
»Hallo, hier ist Warja. Hör mal, ist eure Datscha nicht an der Leningrader Chaussee?«
»Ja, wieso?«
»Wann willst du wieder hin? Morgen?«
»Ja, morgen Abend.«
»Prima! Ich fahr euch hin. Dann musst du dich nicht mit dem Baby zur Bahn schleppen. Ich will morgen Abend sowieso nach Klin, ins Heimatkundemuseum. Das ist ein Weg.«
Als Xenia mit dem Kinderwagen aus dem Haus trat, schaute sie sich um und bemerkte nichts Verdächtiges. Auf dem Spielplatz, auf dem Rand des Sandkastens, küsste sich ein Pärchen. Eine alte Frau aus dem Nachbaraufgang führte ihre beiden Zwergpinscher aus. Die Hunde trugen wie zwei Brüder gleiche hellblaue Strickjacken.
»Guten Tag!«, rief Xenia und ging auf sie zu. »Die beiden sehen aber heute hübsch aus!«
»Guten Tag, mein Kind.« Die Alte nickte majestätisch. »Warum bist du denn in Moskau?«
Xenia hielt es nicht für nötig, zum hundertsten Mal die Lüge über die Impfung zu wiederholen und fragte mit zuckersüßem Lächeln: «Sind Sie schon lange draußen?«
»Seit zwei Stunden, meine Kleinen müssen viel spazieren gehen, der Doktor sagt, in ihrem Alter seien frische Luft und Bewegung das Wichtigste. Lorik hat einen unguten Husten, und Garik wackelt ständig mit dem Kopf.« Sie bückte sich schwerfällig und nahm die Hunde auf den Arm. »Schau nur, wie schlecht beide aussehen.«
»Nicht doch, sie sind beide so niedlich.« Xenia streichelte den zitternden Kopf des einen Hundes. »Ist das Lorik oder Garik?«
»Garik. Sie sind ganz leicht zu unterscheiden. Die Flecke auf Gariks Brust haben die Form einer Schleife, und bei Lorik sind sie rund wie zwei Medaillons. Und Gariks Nase ist heller, und überhaupt sind ihre Schnäuzchen ganz verschieden.« Sie küsste die Hündchen zärtlich auf die kleinen rosa Nasen, erst Garik, dann Lorik. »Ihre Mama war dreimal Siegerin in einem Schönheitswettbewerb, sie war ein prächtiger Hund, schön und klug. Aber der Vater, der war ein richtiger Gauner, er hat die eigenen Herrchen gebissen, bis ins hohe Alter Schuhe zernagt und in die Wohnung gemacht. Er ist tragisch umgekommen. Er war gerade sieben, als er aus dem zehnten Stock fiel. Er hatte die schreckliche Angewohnheit, vom Balkon herunter zu bellen, und eines Tages geriet er von seinem Gebell so in Rage, dass er durch einen Spalt im Balkongitter rutschte. Seine Herrchen waren vollkommen fertig.« Sie seufzte tief und verdrehte die dick geschminkten Augen. »Aber im Grunde sind sie selber schuld. Sie hätten den Hund richtig erziehen müssen. Andererseits ist das nicht nur eine
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