Das Haus der bösen Mädchen: Roman
Warme zu kommen. Als sie auf das Haus zuging, brannte nirgends Licht, und das Tor war verschlossen. Sie wollte nicht klingeln, um die Kinder nicht zu wecken. Sie beschloss, die Pforte auf der Rückseite, zum Wäldchen hin, zu benutzen und leise an Isoldas Fenster zu klopfen.
Als sie auf dem Hof stand, hörte sie ein schweres, pulsierendes Dröhnen, das von unter der Erde zu kommen schien. Dann vernahm sie wildes, durchdringendes Kinderkreischen. Sie erstarrte, versuchte zu begreifen, was hier vorging. Das Schreien wiederholte sich und wurde übertönt von Hardrockrhythmen. Sie entdeckte einen zitternden Lichtschein, der auf den Rasen vor dem Haus fiel. Mit angehaltenem Atem schlich sie zu dem kleinen Kellerfenster, legte sich auf die Erde und schaute hinein.
Sie erblickte einen geräumigen Keller – von dort kamen die Rockmusik und die Schreie. Im Raum brannten unzähligeKerzen. In der Mitte stand ein niedriger breiter Tisch mit einer Art Altardecke aus Brokat darauf. Auf dem Tisch wanden sich drei nackte Körper, ein männlicher und zwei weibliche, genauer gesagt, kindliche, denn die siebzehnjährigen Zwillinge Ira und Sweta waren für Lilja noch Kinder. Daneben stand ein hohes, thronartiges Gestell. Darauf saß Isolda, in ein weites schwarzes Gewand gehüllt, rauchte und beobachtete schweigend das Geschehen. Zu ihren Füßen lag etwas Rosiges, das Lilja im ersten Moment für ein zerstückeltes Baby hielt. Bei genauerem Hinsehen erkannte sie, dass es eine Puppe war. Dann entdeckte sie auf einem Strohhaufen in der Ecke ein weiteres Knäuel ineinander verschlungener nackter Leiber. Zwei Jungen und zwei Mädchen. Eines davon war Ljussja. In diesem Augenblick explodierte etwas in ihrem Kopf. Sie hörte nur noch einen seltsamen dumpfen Knall, dann wurde es dunkel, als sei ihr Gehirn durchgebrannt wie eine Glühlampe.
Als sie zu sich kam, lag sie im Bett, in schneeweißer gestärkter Bettwäsche. Durch das offene Fenster flutete Sonnenlicht herein, der hellblaue Vorhang flatterte, Blätter rauschten, Vögel sangen. Neben ihr saß Isolda in einem weißen Frotteemantel und mit nassen Haaren. Ihr Gesicht glänzte frisch eingecremt. Mit den Fingerspitzen klopfte sie sich die feisten Wangen.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte sie, als sie sah, dass Lilja die Augen geöffnet hatte. »Sie haben uns einen furchtbaren Schreck eingejagt. Wie konnten Sie nur?«
»Was war denn los?«, fragte Lilja, mühsam die Lippen bewegend.
»Erzählen Sie mir erst einmal, woran Sie sich erinnern«, entgegnete Isolda lächelnd. »Oh, ich sehe, das Sprechen fällt Ihnen schwer. Möchten Sie ein Glas Wasser oder Saft? Oder einen Tee?«
»Wasser.« Lilja schloss die Augen. Sie hatte Kopfschmerzen, ihr war übel, und es tat weh, ins Licht zu blicken.
»Immer noch so schlimm? Der Arzt sagt, es ist keine Gehirnerschütterung. Die Verletzung ist weniger ernsthaft, als wir dachten. Die Ohnmacht kam von einem heftigen Krampf der Blutgefäße im Gehirn.«
Lilja trank gierig das Wasser und fühlte sich etwas besser.
»Mich hat ein Arzt untersucht?«, fragte sie und schaute forschend in Isoldas ruhige blaue Augen.
»Sagen Sie bloß, Sie erinnern sich nicht?« Die Brauen hoben sich, die Augen wurden rund.
»Wo ist Ljussja?«
»Sie sieht sich im Wohnzimmer Trickfilme an. Ich habe ihr nicht erzählt, was Ihnen passiert ist. Ich habe nur gesagt, Sie seien zurückgekommen und hätten hier übernachtet. Warum das Kind unnötig aufregen, nicht wahr? Sie wartet darauf, dass Sie aufwachen. Ich habe versprochen, sie dann zu rufen. Sie erinnern sich also an nichts?«
»Nein, an nichts«, sagte Lilja ganz langsam und schloss die Augen.
»Im Ernst? Gut, dann erzähle ich es Ihnen. Ein Wachmann fand sie heute Nacht auf dem Hof am Zaun. Sie waren bewusstlos. Sie waren gestürzt und mit dem Hinterkopf auf den Asphalt gefallen. Ich habe Ruslan geweckt, wir brachten Sie ins Haus, Sie erwachten, konnten sich aber nicht bewegen. Also rief ich den Notarzt. Er hat uns beruhigt und gesagt, Sie müssten nur eine Weile liegen, es sei halb so schlimm. Ja, das ist eigentlich alles. Nein, warten Sie, Sie sollten noch nicht aufstehen. Sie sind ganz blass, bleiben Sie lieber noch eine Weile liegen.«
Doch Lilja hatte sich schon aufgerichtet und war vorsichtig aufgestanden. Ihr war schwindlig, ihr Körper zitterte vor Schwäche, die Knie knickten ihr ein. Sie trug ein fremdes weißes T-Shirt.
»Ihre Sachen waren klitschnass«, erklärte Isolda, »aber inzwischen sind sie
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