Das Haus der Bronskis
waren es . . .«
Partisanen. Jede Geschichte hier führte zu den Partisanen zurück. Es war ein Allgemeinbegriff, etwas, was keiner Erklärung bedurfte, so wie »Tschernobyl« oder »Mafia«. Seit dem Tag, an dem Helena mit ihrer Familie geflohen war, dem Tag des russischen Einmarschs 1939, hatten Gruppen von Dorfbewohnern immer wieder im Wald Zuflucht gesucht. Die Wälder hier waren Urwald, so unzugänglich und gefährlich wie Berge. Erst Jahre nach Kriegsende waren die letzten Partisanen schließlich wieder aus ihnen hervorgekommen.
»Partisanen«, wiederholte Pani Wala, »die Roten Partisanen haben es in Brand gesteckt, als der Boden hart war,sie haben es in Brand gesteckt, und es hat tagelang geraucht . . .«
Als 1941 die Deutschen einmarschierten, stieg die Zahl der Partisanen. Es gab polnische Partisanen, weißrussische Partisanen, jüdische Partisanen, zu den Bolschewisten tendierende Partisanen, nationalistische Partisanen. Sie kämpften gegeneinander genauso wie gegen die Deutschen oder die Russen. Während der deutschen Besetzung waren es die Roten Partisanen, deren Aktivitäten – unterstützt von den Russen – die größte Wirkung zeigten. Damit war eine Datierung möglich: nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941. Also war das Haus im Winter darauf, 1941 / 42, niedergebrannt worden. Verbrennt die Nester, hatte Lenin gesagt, dann kommen die Vögel nicht zurück.
Pani Wala starrte vor sich hin. Die Tränen liefen ihr die Wangen hinunter. Die Jahrzehnte türmten sich hinter ihren Lippen; sie war außerstande, sie zurückzuhalten, und mit einemmal verfiel sie in einen tranceähnlichen Monolog, der zu zwei Teilen Gedicht und zu einem Teil Lied war:
»
Boże, mój boże
, was für ein Leben war das damals, wir haben Himbeeren gepflückt und Johannisbeeren und die Birnen, Sie brachten uns Birnen in Ihrem Hut . . . auf dem Tennisplatz sangen die Mädchen und Sie mit Ihren Büchern im Schatten, Sie mit Ihren Büchern und ich, dunkler als eine Bierflasche, und die Kleider, die ich aus Wilnaer Stoff gemacht habe . . . Aber, o Gott, was dann geschah, was dann geschah, als die Russen kamen . . . Sie haben die Pferde genommen und sind geflohen, und die Deutschen rückten mit ihren Maschinen an, und die Russen waren im Fluß . . . dann kamen die Russen wieder, und die Deutschen waren im Fluß mit ihren Maschinen, ertranken wie wilde Tiere, ertranken im Fluß, trieben im Fluß wie Fallaub . . .«
Sie hielt inne. Zofia und ich schwiegen.
». . . Dann die Partisanen am Fenster und die brennenden Häuser, und wer mußte nicht alles nach Rußland . . . mein Kazik ohne Stiefel im Schnee . . . Gott, mein Gott, und gerade letzte Woche das Mädchen im Wald, tot, mit zerschnittenen Brüsten . . .«
Pani Wala wandte sich um und sah Zofia an. Ihre Augen waren rotgeweint. Mit beiden Händen ergriff sie Zofias Hand und umklammerte sie heftig. »Pani Zofia, ich werde die ganze Nacht weinen, weil ich an Sie denken muß! Pani Zośka, Sie mit Ihren kleinen Zöpfen und dem strahlenden Gesicht und dem roten Kleid mit den Flamencofalten, das ich genäht hatte . . .«
Pani Wala erzählte uns von einer alten Frau, die allein im Wald lebte. Man kannte sie als Pani Jadzia, sie hatte eine Holzhütte am Rande eines Roggenfelds. Hinter der Hütte lag der Wald. Das Ganze war sehr abgelegen.
Als wir ankamen, stand sie gerade an ihrem Brunnen. Zofia erklärte, wer sie war, und Pani Jadzia nickte, ohne zu lächeln. Sie nahm den Eimer vom Haken und machte sich daran, ihn zur Hütte zu tragen.
Ja, sie erinnerte sich an die Brońskis. Sie erinnerte sich daran, wie sich ihre Schafe auf deren Land verirrt hatten und Pan Adam sie gefunden hatte; sie erinnerte sich, wie er herübergeritten kam und sie seinen Zorn erwartet hatte und er sich statt dessen nach den diesjährigen Lämmern erkundigte und sich an den Tisch gesetzt und mit ihrem Vater
kwas
getrunken hatte.
Pani Jadzia trug ihr Wasser hinein und kam wieder in die Sonne heraus. Wir setzten uns auf eine Bank an der Hauswand, und sie sah uns beide nacheinander an.
Sie mußte weit über achtzig sein. Von ihrer kleinenSchulterwölbung stand der Kopf nicht nach oben ab, sondern nach vorn. Ihr Gesicht war unbewegt, gegen die Welt verhärtet. Wenn sie sich entspannte, was sie am Ende ihrer Musterung tat, konnte man erkennen, daß sie lächelte, nicht weil sie lächelte, sondern weil ihre steinerne Miene kaum merklich weicher wurde.
Sie erzählte ihre
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