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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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wirklich die Schonung von damals war, daß die Reihen unversehrtgeblieben waren, daß ich die Bäume richtig gezählt hatte, daß dreiundfünfzig Jahre vergangen waren, ohne daß jemand den Schatz gefunden hatte; all das bezweifelte ich so sehr, daß ich ehrlich glaube, daß, wäre er dagewesen   – wären die Silberleuchter und Salzschälchen schimmernd zwischen jenen Wurzeln aufgetaucht   – die schiere Unwahrscheinlichkeit des Funds mich um den Verstand gebracht hätte.
     
    Ich kehrte mit leeren Händen zu Zofia zurück. Drei Bauern standen um sie herum. Sie wirkte nervös.
    »Nichts«, sagte ich.
    Sie wandte sich zu den Männern. »Das Hundegrab, verstehen Sie. Hunde . . . grab . . .« Aber sie waren keine Polen und verstanden nichts. Sie lehnten sich gegen ihre Sensen. Kratzten sich am Kopf. Einer von ihnen sagte etwas, und die anderen lachten. Wir gingen unter den Bäumen zurück.
    Es war ein heißer Morgen; Fliegen schwebten in den Sonnenstrahlen. Alles war braun und staubig. Ein Kuckuck schrie von weit her aus den Bäumen. Wir folgten einem sandigen Weg, der sich durch die Kiefern schlängelte, durch das Halbdunkel, und am Flußufer herauskam. Vor uns erstreckte sich das Wasser, glitzernd und stahlblau.
    Wir gingen ein kleines Stück stromaufwärts. Der Wald trat zurück; die Uferböschung verbreiterte sich zu einer federnden Grasnarbe. Zofia sagte: »Oh, ist das nicht wunderschön, genau so habe ich es in Erinnerung . . .«
    Helenas Aufzeichnungen waren voll von Beschreibungen dieses Orts; bisweilen schien sie ihn fast mehr zu lieben als ihre Familie. Der Wald war ihr Palliativ, der Fluß ihr Orakel. Sie erquickte ihre Lebensgeister an dem kräftigenTonikum dieser Landschaft. Sie war ihre Zuflucht. Hier, wo ich sie leibhaftig sah, verstand ich, warum.
    Am anderen Ufer wurde Heu gemacht. Ein Mann stand oben auf einem Karren und breitete das Gras. Andere zogen mit ihren Sensen Schneisen durch die Wiesen.
    »Irgendwo hier«, sagte Zofia, »hatten wir eine Stelle . . . um diese Zeit sind wir immer dahin gegangen. Ja, da, in den Bäumen!« Vor uns am Uferrand war gerade eine kleine Birkengruppe aufgetaucht. Dahinter machte der Fluß eine scharfe Biegung nach links. »Wir nannten sie Philosophenwinkel. Hier haben wir immer gesessen und geredet   – lange große Gespräche!«
    »Worüber?«
    »Ach, na ja   – das Leben!« Sie sprach das so genüßlich aus   – »Le-ben«   –, als wäre es eine Leibspeise.
    Wir setzten uns bei den Birken ans Ufer. Die Uferschwalben zwitscherten vom Wasser her; andere flogen vor und zurück, tauchten kurz unter und vollführten Sturzflüge über dem träge dahinströmenden Fluß.
    »Tja«, sagte sie, »kein Haus und kein Silber!« Sie klang nicht enttäuscht.
    »Aber die Menschen hier, die sich an dich erinnern?«
    »O ja, das ist viel mehr wert.«
    »Zosia«, fragte ich, »weißt du jetzt, warum du hierherkommen mußtest?«
    Sie betrachtete eine Weile den Fluß, dann nickte sie.
    »Warum?«
    »Neugier.«
    »Das ist alles?«
    »Ja.«
    »Bloß Neugier?«
    Sie antwortete nicht gleich. »Weißt du, wenn wir das Silber gefunden hätten und die Bauern hätten es haben wollenund uns umgebracht, dann wäre das wegen meiner Neugier gewesen   – es tut mir leid! Frauen sind neugieriger als Männer.«
    »Meinst du?«
    »Wir haben hier immer etwas gespielt, hör mal.« Sie wölbte ihre Hände vor und rief über den Fluß:
»Kto zjadłjabłko z drzewa?«
Vom anderen Ufer kam das Echo: »
ewa, ewa . . .
« »Verstehst du?«
    »Nein.«
    Sie lächelte belustigt und rief wieder, diesmal lauter: »KTO ZJADŁ JABŁKO Z DRZEWA . . . EWA . . .
ewa . . .wa . . .
«
    »Nein!«
    »›Wer hat vom Baum den Apfel gegessen?‹ Und das Echo ruft: ›Eva!‹ Wie du siehst, Neugier. Sie hat den Apfel aus Neugier gegessen.«
    »Und bedenke, was dann passiert ist!«
    »Ja. Aus dem Paradies vertrieben. Genau wie wir.«
    Ich fragte sie, ob es für sie wirklich ein entschwundener Garten Eden war.
    »In gewisser Weise schon.«
    »Aber es ist doch ein unwirtlicher Ort.«
    »Ja«, sagte sie, »das auch. Ein unwirtliches, beschädigtes Paradies.«

6.
    I
n
derselben Woche
fuhren Zofia und ich noch nach Lida, um zu versuchen, das Haus ihrer Großeltern wiederzufinden. Wir fanden eine Sowchose, ein großes, kollektiv bewirtschaftetes Staatsgut. An der Einfahrt stand ein Schild mit einem in Zofias Kindheit oft erklungenen Namen: KLEPAWICZE.   Das Schild war ein köstliches Stück Sowjetkitsch, mit

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