Das Haus der Bronskis
sind Sie?« fragte die Frau.
»Ich komme aus Mantuski – Zofia Brońska.«
»Warum kommen Sie auf diesem Weg und nicht auf der Straße?«
Zofia antwortete nicht gleich. »Ich habe mich verirrt.«
Die Frau musterte sie genau. »Das ist nicht die Wahrheit.«
Die Männer befahlen ihr abzusitzen. Sie durchsuchten ihre Taschen und fanden nichts als ein kleines Stück Brot und einen Apfel. »Woher sollen wir wissen, daß Sie nicht von den deutschen Luftlandetruppen sind?«
»Nicholas O’Breifne vom
dwór
in Druków ist mein Onkel.«
»Bringen Sie uns zu ihm.«
Onkel Nicholas war krank. Er band sich die Schnur seines Morgenrocks zu und trat aus dem Haus. Er blinzelte in die Sonne und bellte Zofias Häschern zu: »Natürlich ist das meine Nichte!«
Danach hörte er sich ihr Anliegen an. »Ja, Zosia. Ich werde mit deiner Mutter sprechen.« Dann küßte er sie auf die Stirn und sagte, sie solle schnell nach Mantuski zurückreiten. »Und nimm diesmal die Hauptstraße!«
Er stand auf der untersten Stufe, als sie zurückblickte, eine würdevolle Gestalt in seidenem Morgenrock, und winkte mit beiden Händen. Es war das letztemal, daß sie ihn sah.
Druków 1992. Auf dem Gelände der O’Breifne-Kapelle stand ein kleines Mausoleum. Der Regen fiel durch die hohen Buchen und platschte auf das Dach des Gebäudes. Jenseits des Flusses grollte der Donner.
Wir standen geschützt unter dem Säulenvorbau des Mausoleums – Zofia, ich und eine Frau aus dem Dorf. An der Tür, die mit einem Vorhängeschloß versperrt war, befand sich eine kleine Tafel mit der Inschrift: »Graf Nicholas O’Breifne 1862 – 1940«.
»An dem Morgen sind die Russen gekommen«, sagte die Frau. »Sie haben den Wildhüter erschossen und den Grafen auf einem Heuwagen abtransportiert. Ich habe ihn hinten auf etwas Stroh liegen sehen.«
Im Frühjahr darauf, sagte sie, kehrte er zurück. Er konnte kaum gehen. Die Monate in einem sowjetischen Gefängnis hatten ihn gebrochen, und nicht lange danach starb er.
»Das also ist mit ihm passiert«, sinnierte Zofia. »Das also ist aus Onkel Nicholas geworden.«
Wir standen lange Zeit so da. Der Regen machte keineAnstalten aufzuhören; die Frau aus dem Dorf starrte ihn an mit dem Blick von jemandem, der schon seit Jahren darauf starrt.
Am Ende hatte Helena keine Wahl mehr, und es gab keine Fahrt nach Wilna. Während sie den Vormarsch der Deutschen beobachtete, jede Nachrichtensendung hörte, hatte sie die andere, die größere Gefahr aus ihrem Sinn verbannt – die Gefahr von Osten.
Am 16. September war sie ziemlich spät aus Nowogródek zurückgekommen. Der Abend war windstill und ruhig. Sie war mit den Hunden unten am Njemen spazierengegangen und bei Michałs Kreuz umgekehrt. Der Himmel war von Flugzeuglärm erfüllt, aber sie war nicht übermäßig beunruhigt. Später merkte sie, daß sie nicht einschlafen konnte, und nahm ein leichtes Schlafmittel.
Ihr Schlaf wurde am nächsten Morgen um fünf Uhr unterbrochen.
»Mama! Mama! Die Russen!«
Helena schlug die Augen auf und sah Zofia an ihrem Bett stehen. »Mama, sie haben vom Dorf angerufen! Die Russen sind einmarschiert!«
Helena stand sofort auf, stieß sich einen Zeh am Bettpfosten an und fluchte. Sie zog einen neuen dicken Rock und eine grüne Jacke an, die sie beiseite getan hatte. (Als sie die Sachen in Wilna gekauft hatte, hatte sie plötzlich der Gedanke überfallen: in diesen Sachen könnte man sterben.) Sie versammelte den Haushalt in der Diele zum Gebet. Wie ihre Mutter 1915 las sie
»Kto się w Opiekę«
, die Anrufung der göttlichen Vorsehung:
. . . er befiehlt seinen Engeln,
dich zu behüten auf all deinen Wegen.
Sie tragen dich auf ihren Händen,
damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt . . .
Draußen erhellte die Sonne die Konturen der Bäume. Über den Feldern lagen nadelspitze Schatten. Jenseits des Njemen, am anderen Ufer, sickerte Nebel aus dem Wald. Vom Dorf kam Hundegebell und das Krähen der Hähne, und die Herde trottete nach dem Melken schwerfällig die Allee entlang zu den höher gelegenen Wiesen.
Helena blieb keine Wahl. Bartek sagte, er werde sie alle verstecken. Er meinte, es sei Wahnsinn, sich auf die offenen Straßen zu wagen. Doch sie wußte, daß es Wahnsinn wäre zu bleiben: sie würden im Nu verraten werden.
»Wir müssen fort, Bartek.«
Sie hatten nur ein paar Stunden. Sie ging in ihr Büro. Dort hatte sich bereits Schweigen über die Dinge gelegt. Sie nahm Adams Bild vom Haken
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