Das Haus der Bronskis
und seine Dienstmedaille. Aus dem Safe holte sie zweitausend Złoty in nagelneuen Scheinen, Schmuck und eine Pistole. All das legte sie in eine kleine Ledertasche. In der Klinika schloß sie den Glasschrank auf und nahm ein Fläschchen Arsen heraus. Dann ging sie durch die Diele in das Eßzimmer.
An einer Wand stand dort ein Vitrinenschrank, dessen Fächer vollgestellt waren mit Samowaren, Leuchtern, einem silbernen Wolf, Senfgefäßen und Salzschälchen. Helena holte zwei Pilzkörbe aus der Küche, legte das Silber hinein und deckte es mit einem Schal zu. Dann spürte sie Zofia auf, und sie verließen das Haus durch die Hintertür, um das Silber in der Schonung zu vergraben.
Als sie wieder zurück waren, sagte Bartek, die russischen Truppen stünden dreizehn Kilometer vor Mantuski. Sie rückten schnell vor.
Bartek hatte die letzten vier Pferde angeschirrt. Sie wartetenunter der Lärche. Er hatte Decken, Nahrungsmittel und Futter in die Karren geschafft – und ein Gewehr. Einen Augenblick lang standen alle draußen vorm Haus, während die Wagen beladen und abfahrbereit warteten. Bartek nahm seine
czapka
ab, Tessa trat von einem Fuß auf den anderen. Die anderen standen reglos da. Keiner wußte, was er sagen sollte.
Helena drehte sich um und stieg auf den vorderen Wagen. Sie gab Zofia mit einer Bewegung zu verstehen, daß sie den zweiten lenken sollte. Noch immer fiel kein Wort. Bartek ging ein paar Schritte vor und überprüfte das Geschirr von Helenas Pferd.
»Beeilen Sie sich!« flüsterte er.
Helena schnalzte mit den Zügeln. Sie sagte nicht auf Wiedersehen. Sie wußte, es würde nicht lange dauern, bis sie zurück wäre.
27.
S ie ließen
die Allee und Michałs Kreuz hinter sich und fuhren weiter durchs Dorf. Vor der Kirche hatten sich Menschen versammelt. Sie standen in formlosen Gruppen und warteten. Einige lehnten sich auf Sensen, andere hielten ihre Mützen in Händen, kleingefaltet wie Ausweispapiere. Als sie die Fuhrwerke hörten, schlurften sie schwerfällig auf die Seite. Sie verstummten, und die Pferde trabten an ihnen vorbei.
Helena konnte es nicht ertragen hinzusehen; sie konnte es nicht ertragen, ihren Haß zu sehen – und konnte noch weniger den Anblick derjenigen ertragen, die sie nicht haßten. Wieder dachte sie: ich kann nicht fort, ich bringe die Kinder in Sicherheit und komme zurück.
Sie hielten sich nördlich des Njemen. Die Straßen waren leer. Eine atemlose Hitze lag auf dem Land, und die Wolken waren schwer und gewittrig. Unter ihnen standen unbewegt die Wälder. Aus der Ferne hörte man das dumpfe Geräusch von Granatfeuer.
Helenas Plan war, nach Wilna durchzukommen. Dort lebte eine große Anzahl von Polen. Sie würde dort abwarten können, bis klar war, was geschah. Aber in dem ersten Dorf, das sie erreichten, mußten sie erkennen, daß das nicht mehr möglich war: die Straße nach Wilna war schon von den Russen blockiert.
Sie fuhren weiter zum
dwór
eines Freundes. Als sie aus der langen Auffahrtsallee herauskamen, fanden sie die Fensterläden geschlossen, die Eingangstür versperrt, die Ställe leer.
Sie kehrten zur Straße zurück und suchten in einer leeren Scheune Zuflucht, während die Pferde rasteten. Ihre Möglichkeiten, erkannte Helena, schrumpften. An diesem Punkt spielte sie das erstemal mit dem Giftfläschchen in ihrer Jackentasche.
Nach etwa zwanzig Minuten hörten sie das Rattern eines anderen Fuhrwerks, und Helena spähte durch einen Spalt im Scheunentor. Ein Priester, ein älterer Mann, fuhr in einem Ackerkarren auf sie zu. Sie trat aus der Scheune, um ihn zu begrüßen. Sie beäugten einander nervös.
»Vater.« Helena nickte zu ihm hinauf.
»
Dzień dobry
«, murmelte der Geistliche.
»Woher sind Sie?«
»Aus Lipniszki. Und Sie?«
»Von Mantuski.«
Er sah sie genauer an. »Sie sind Pani Brońska?«
Sie bejahte.
Der Priester sagte, er habe im letzten Krieg mit Adam zusammengearbeitet. »Ein wunderbarer Mensch!«
Aus seiner Soutane zog er eine Landkarte. Er stieg ab und breitete sie am Straßenrand aus. Mit einem Finger seiner knochigen Hand fuhr er über die Wege und Wälder der Kresy.
Wilna war im Norden abgeschnitten. Die Russen marschierten auch nach Süden vor. Im Osten lagen die Russen, im Westen die Deutschen. Ein schmaler Korridor, hundertneunzig Kilometer bis zur litauischen Grenze, erklärte er, verlief zwischen den Fronten in nordwestlicher Richtung. Wie lang der Korridor noch offen bleiben würde, ließ sich nicht
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