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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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daß mir gestattet sein möge, wieder hierherzukommen und meine letzten Tage hier zu verbringen. Ich möchte in Adams Nähe sein, aber ich möchte nicht, nicht wirklich, in der Brońskigruft begraben werden. Möge ich an diesem Meer sterben.
     
    Sie hörte in jenen Wochen zwölf »Bewunderer« an, zwölf Männer, die ihre Einsamkeit anzog, zwölf Männer, die sie vor ihrer Tür auflaufen ließ. Professoren, Franzosen, ein Schweizer Maler kamen und gingen. Dann war da noch der italienische Graf in Rom, der sie drängte, sie solle »das Leben nehmen, wie es kommt«. Von seinen Worten betört, fühlte sie sich in seiner Gegenwart auf einmal jung und impulsiv.
    »Sehen Sie hin!« sagte er und machte von seiner Villa aus eine Geste zu den Dächern Roms hinunter. »Sehen Sie doch, wie schön die Welt ist! Wie können Sie all das versäumen, Helena? Wie können Sie selbst sich all dem verschließen?«
    Aber sie hatte sich jener anderen teuflischen Hand erinnert, die die Welt anbot, jenes anderen Bergs, und war aus ihrer Betäubung erwacht und vor dem italienischen Grafen geflohen.
    Das hohe Blau der Alpen belebte sie, München war ruhig, Berlin schreckenerregend. Die Veränderung binnen weniger Jahre schien ihr kaum glaublich. Die Stadt war »von Hitler hypnotisiert«, sein Bild in jedem Schaufenster, Braunhemden an jeder Ecke. An der Grenze wurde sie von schlanken jungen Riesen mit Hakenkreuzarmbinden angerempelt und schikaniert. Sie ließen alle Polen stundenlang warten. Die Heimkehr nach Mantuski war, so schreibt sie, wie das Erwachen aus einem bösen Traum.
    Am nächsten Morgen streifte sie in aller Frühe durch den Wald. Sie wanderte an Michałs Kreuz vorbei zum Fluß und setzte sich ans Ufer. Sie sah den ersten Schwalben zu, wie sie durch die reglose Luft flogen. Sie fühlte sich emporgetragen von der vertrauten Verzückung, dem alten Hochgefühl, das der Wald ihr gab. Die Schrecken des neuen Europa fielen von ihr ab.
    »Welche menschliche Gruppierung«, schreibt sie, »bringt solchen Frieden? Wie sehr liebe ich es, den kühlen grünen Fluß zu betrachten. Wie schön ist es, das liebe Haus durch die Bäume zu sehen, die Hunde zu Füßen zu haben. Ich liebe die kräftezehrende Arbeit an diesem Ort; ich liebe alles hier. Ich würde lieber an diesem Ort zugrunde gehen, als ihn verlassen.«
    Doch kaum hatte sie das niedergeschrieben, wußte sie, daß es so einfach nicht sein würde.
     
    Das Frühjahr 1939 hatte etwas Sonderbares. Das Tauwetter setzte spät und unvermittelt ein. An einem Tag war der Njemen noch gefroren, und am nächsten kam er mit barbarischer Wildheit aus Rußland geströmt. Innerhalb weniger Stunden nahm das Hochwasser hektarweise Flußwiesen mit, riß sie vom Ufergrund fort wie Eisberge aus Gras.
    Im Mai ging das Wasser dann zurück und blieb den ganzen Sommer über beklagenswert niedrig.
    Der Storch von Mantuski, der jedes Jahr in einer toten Eiche jenseits des Rasens genistet hatte, war nicht zurückgekehrt. Und es wurde fast Juni, bis man die erste Nachtigall hörte.
    Helena saß am Fenster und hörte Nachrichten im Rundfunk. Die schwärzeren Gedanken behielt sie für sich. Sie gab den Kindern Ledergürtel und Goldrubel, die sie darin einnähen sollten. Sie hatte diese Rubel über die Jahre hinweg gesammelt. Der Kopf von Zar Nikolaj II. war darauf abgebildet; sie wußte, sollte das Chaos wieder ausbrechen, wären sie die einzige brauchbare Währung.
    Zofia erinnert sich, die Rubelgürtel in jenem Sommer genäht zu haben, aber kaum an das Gefühl der Bedrohung. Ihr kam der Sommer 1939 in vielem wie alle anderen vor   – außer daß er heißer war und daß Eric wieder da war.
    Er und Zofia gaben sich mit neuerlicher Begeisterung ihren langen und nutzlosen Debatten im Philosophenwinkel hin. Eric hatte ein Exemplar von
The Waste Land
mitgebracht. Er las daraus lange Passagen vor, während Zofia den Fluß beobachtete.
    »Ich habe kaum ein Wort verstanden!« erzählte sie mir. »Das Englisch überstieg mein Begriffsvermögen bei weitem. Ich erinnere mich nur noch an: ›the moon shone bright on Mrs.   Porter   / And on her daughter   / They wash their feet in soda water‹!«
    (Viele Jahre später lernte Zofia T.   S.   Eliot kennen. Sie hatte sein
Murder in the Cathedral
ins Polnische übersetzt. In seinem Vorwort zu der Ausgabe schreibt Eliot, es scheine ihm eine gute Übersetzung zu sein, obwohl er selbst zu wenig Polnisch könne, um es wirklich beurteilen zu können. Zofia sah darin eine Art

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