Das Haus der kalten Herzen
immer noch am Ellenbogen des Mannes hielt. »Komm und trink etwas mit mir. Wir werden die Angelegenheit besprechen.«
Mercy konnte sehen, dass ihr Vater vor Wut noch immer ziemlich angespannt war. Thekla stand neben ihm, jetzt schaute sie die junge Braut an. Frederick nickte kurz, dann zog er sich mit Trajan zurück. Thekla versuchte, die Feststimmung wieder aufleben zu lassen.
»Braut und Bräutigam werden tanzen«, sagte sie ein wenig zu munter.
»Kommt. Die Musiker sollen einen Hochzeitsmarsch anstimmen.«
Claudius nahm Mariettas Hand und die Menge teilte sich vor ihnen. Er führte sie durch das Speisezimmer vor das Kammerorchester und legte ihr den Arm um die Taille. Auge in Auge und mit strahlendem Lächeln begann das Paar zu tanzen. Die Gäste applaudierten. Sogar Thekla wurde ein wenig weich. Sie reichte Marietta ein Schlüsselbund und sagte ihr, sie solle sich aus dem Familienschmuck der Vergas ein Geschenk aussuchen. Mercy fielen die Schlüssel auf, es waren dieselben, die Marietta ihr in dem eisigen See gezeigt hatte, ein Wegweiser zu Theklas Stapel von Briefen, dem ersten Fingerzeig auf die Geschichte der Vergas.
Das Fest ging bis tief in die Nacht weiter. Die Musiker spielten bis in die frühen Morgenstunden und die Tafel wurde geplündert. Entzückt über die Neuigkeit von der Hochzeit, polterten die kleine Mercy und Chloe die Treppe hinunter, um Claudius und Marietta zu begrüßen. Die Diener deckten den Tisch neu, heiße Schokolade mit einem Schuss Wein, Mohnkuchen, Plumpudding, Trauben und Aprikosen, Krüge mit Sahne. Thekla schnitt einen Kuchen an, der mit Blattgold verziert war.
Mercy wich dem glücklichen Paar nicht von der Seite. Ihre eigene Reaktion auf ihr taufrisches Glück war geprägt von dem Wissen um die Engelspuppe im Labor, dem Ritual mit dem Kreis und dem geheimnisvollen Muster aus Worten. Ob Claudius seiner Liebsten wohl schon von seiner unnatürlichen Lebensdauer und seinen Plänen für ihre ewige Jugend erzählt hatte?
Allmählich wurden die Gäste müde und setzten sich, um Schokolade und Kaffee zu trinken. Die Musiker hatten sich zurückgezogen. Die kleine Mercy und Chloe schlichen sich davon und legten sich auf Mercys Bett, um einander auch dort noch schläfrig Geheimnisse zuzuwispern. Claudius und Marietta waren vom Fest weggeschlendert. Mercy folgte ihnen auf Schritt und Tritt, ihr war ganz elend vor ängstlichen Vorahnungen.
Claudius nahm einen silbernen Kandelaber mit drei brennenden Kerzen. Das Paar lachte, schmiegte sich aneinander und blieb ab und zu stehen, um sich zu küssen. Marietta war ein wenig beschwipst. Ihr Atem roch nach Wein und Zimt. Sie brach in Gekicher aus. So schlenderten die beiden durchs Haus, durch die Korridore und Flure, über Treppenabsätze und Treppen zu seinem verschlossenen Labor.
Claudius holte den Schlüssel aus seiner Tasche. Vor der Tür zögerte er. Seine Miene war jetzt ernst. Ob er Mercy wohl wahrnahm? Nichts deutete darauf hin. Er war tief in die Geschichte verstrickt und ihm lag daran, dass Mercy mit eigenen Augen sah, was sich nun abspielte.
»Was ist das?«, fragte Marietta. »Hast du eine Überraschung für mich?«
Claudius nickte voll Unbehagen. »Ich habe dir etwas Wichtiges mitzuteilen.«
»Was denn? Schlechte Nachrichten? Warum schaust du mich so an?«
»Keine Angst«, sagte Claudius. »Tritt ein.«
Er stellte den Kandelaber auf den Tisch.
Mercy folgte ihnen. Der lange Raum war jetzt ordentlich hergerichtet, der Tisch war freigeräumt, nur der Glasapparat stand bereit. Der alchemistische Kreis war erst vor Kurzem auf den Boden gezeichnet worden. Hinter einer zweiten Tür miaute eine Katze und kratzte am Holz.
»Deine Arbeit«, sagte Marietta. »Du hast mir davon erzählt.«
»Setz dich, Marietta«, sagte er und zog zwei Stühle heran.
Er holte tief Luft. »Du weißt ja, dass die Familie, meine Familie, aus Italien kommt. Und dass wir unsere eigenen Sitten und Gebräuche haben.«
»Ja, fürwahr. Aus diesem Grund war dein Bruder nicht mit unserer Ehe einverstanden.«
»Die Vergas sind eine große Familie, mit tiefen Wurzeln und vielen Zweigen. Ein echter Stamm, könnte man sagen. Wir haben uns in allen vier Ecken der Welt niedergelassen, obwohl wir aus Italien stammen und das Land als unsere Heimat betrachten. Brüder und Schwestern, Kusinen, Tanten, Großonkel, Eltern, alle haben zwei Merkmale, die uns von anderen Leuten unterscheiden. Erstens, einige von uns verfügen über seltene Gaben. Außergewöhnliche
Weitere Kostenlose Bücher