Das Haus der kalten Herzen
Geisteskräfte.«
Marietta nickte. »Ich verstehe«, sagte sie. »Der unaufgeklärte Pöbel könnte diese Gaben für etwas Finsteres halten. Für Hexerei.«
Claudius nickte. »Und da ist noch etwas, Marietta.« Er schluckte, griff nach ihren Händen und schaute ihr in die Augen.
»Die Familie … wir erreichen ein außergewöhnliches Alter.«
Marietta zögerte einen Augenblick. Dann lachte sie erleichtert. »Wir auch«, sagte sie. »Meine Urgroßmutter ist neunzig geworden und meine Großmutter ist dreiundneunzig und lebt immer noch.«
»Marietta«, unterbrach er sie. »Ich habe über fünfhundert Jahre gelebt und erwarte, noch ein paar Hundert Jahre länger zu leben. Ehrlich gesagt, ich weiß von keinem Mitglied der Familie Verga, das an Altersschwäche gestorben wäre. Durch Unfall oder ein Missgeschick, ja, das schon. Wir altern jedoch nicht wie gewöhnliche Menschen, Marietta. Kummer und Verlust können uns altern lassen, aber Glück bringt uns die Jugend zurück. Wir sind unsterblich. Du wirst alt werden, und ich werde bleiben, wie ich bin. Du wirst welken und sterben, während mir meine Kraft erhalten bleibt, solange unsere Ururgroßenkel leben und darüber hinaus. Gemeinsam werden wir vielleicht fünfzig oder sechzig Jahre miteinander haben. Ein Lidschlag. Ein Nichts; In all den langen Jahrhunderten meines Lebens habe ich nie zuvor geliebt, und ich will nicht, dass ich dich vergehen sehen muss wie ein trockenes Blatt nach einem einzigen kurzen Sommer.«
Mit Tränen in den Augen löste Claudius den Blick von Marietta. Sie starrte ihn nur an. Höchstwahrscheinlich konnte sie überhaupt nicht begreifen, was er gerade gesagt hatte. Das konnten doch nur die Worte eines Wahnsinnigen sein, oder?
»Du willst mich an der Nase herumführen«, sagte sie. Ihre Stimme war leise und traurig. »Es ist gegen die Gesetze Gottes, dass Menschen so lange leben. Das ist unmöglich. Sag, dass es ein Scherz ist. Wie kannst du mir erzählen, dass die Jahre dir nichts anhaben können, wenn ich dies hier sehe?«
Sie streckte die Hand aus, an der ihr Hochzeitsring funkelte, und berührte die weiße Strähne in seinem Haar. Claudius konnte nicht ruhig bleiben. Aufgewühlt lief er im Zimmer auf und ab. Marietta fing an zu weinen. Glaubte sie ihm? Glaubte sie gar, einen Irren geheiratet zu haben? Er war sehr überzeugend gewesen.
Claudius rieb sich das Gesicht. Er schloss die zweite Tür auf und eine Katze sprang heraus. Weiß und graugetigert. Sie lief auf Claudius zu und rieb sich schnurrend an seinen Beinen. Hatte Claudius das Ka wieder in den Körper aus Fleisch und Blut zurückgeführt? Mercy starrte, als das Tier einen Buckel machte und gestreichelt werden wollte. Eine echte Katze. Nicht das animierte Grauen.
Aber nein! Man musste genau hinsehen. Es war die Kopie. Ja. Der Stoff bedeckte nun die Eingeweide aus Holz, Kupferdraht, Pferdehaar und Sägemehl. Obwohl die Mechanik der Stoffkatze verdeckt war, erklärte das noch nicht ihre täuschend echte getigerte Erscheinung. Wenn Mercy die Wahrheit nicht gekannt hätte, hätte sie dann überhaupt bemerkt, dass die Katze nicht echt war? Vielleicht hatte das Ka sich jetzt fest verankert. Die Katzenseele war überzeugt davon, eine echte Katze zu sein, und gab dem konstruierten Körper Glanz mit ihrem eigenen Katzenwillen, ihrem Glauben an sich selbst. Offenbar hatte Marietta nichts Unpassendes an der Katze bemerkt. Verwundert schaute sie das Tier an.
Mercy war verblüfft, wie echt die künstliche Katze war. Ob Claudius gewusst hatte, wie vollkommen die Verwandlung gelingen würde? Wenn nach der Übertragung von Mariettas Ka auf die Puppe dasselbe geschah, würde niemand auf den Gedanken kommen, sie könnte nicht aus ganz gewöhnlichem Fleisch und Blut bestehen.
»Siehst du meine Katze?«, fragte Claudius. »Ist sie nicht niedlich?« Er bückte sich und nahm sie auf den Arm. Die Katze drückte ihren Kopf in seine Hand.
Marietta nickte. Sie war sich nicht ganz sicher, worauf dieses Gespräch hinauslaufen sollte.
»Streichle sie«, sagte er. »Fühle, wie weich sie ist, wie warm. Fällt dir irgendetwas Ungewöhnliches an ihr auf?«
»Nichts«, sagte Marietta. »Als Nächstes wirst du mir noch erzählen, dass sie auch eine Verga ist und vielleicht schon tausend Jahre lebt.«
»Sie wurde vor vier Monaten geboren«, sagte er. »Doch zum Teil hast du Recht, sie wird ewig leben. Wenn ich ihren Körper repariere, wird sie länger halten als das Haus, dann sind ihre Geschwister längst
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