Das Haus der kalten Herzen
schlug acht Mal. Draußen wurde der Himmel blass, die Sonne schickte sich an, über den kahlen Bäumen und den bereiften Feldern aufzusteigen. In der Ferne hob ein einsames Reh seinen Kopf vom vereisten Gras, es schien auf das Fenster zu starren, an dem Mercy stand.
Sie ging nach unten in die Küche, in der selbst zu dieser frühen Stunde ein reges Treiben herrschte. Aurelia und ein halbes Dutzend Helfer hatten alle Hände voll mit den Vorbereitungen zu einer großen Festlichkeit zu tun. Über der Feuerstelle drehte sich ein riesiger Braten am Spieß. Eine magere Frau mit einem verschwitzten Gesicht bereitete einen Pudding vor, indem sie eine eierschalenfarbene Masse in einen Musselinbeutel füllte. Der Feuerschein spiegelte sich in den blanken Kupfertöpfen, die an Haken über dem langen Tisch hingen. Eine junge Frau, die Kräuter hackte, legte ihr Messer hin, um eine rote Katze zu verscheuchen, die mit einem würdevollen Satz auf die Anrichte sprang. Der Duft von Muskatnuss und Ingwer, von Wein und bitterer Schokolade lag in der Luft. Zwei Mädchen von ungefähr zehn oder zwölf Jahren rupften Federn von Fasanen, die schlaff über ihren Schößen hingen. Ein weiteres halbes Dutzend Vögel lag auf einem Haufen auf dem Boden und wartete darauf, dass man sich ihnen widmete. Ein kleiner, stämmiger Mann an einer Holzbank im hinteren Teil des Raumes zerhackte ein geschlachtetes Schwein. Zu seinen Füßen hechelten zwei Terrier, die ungeduldig auf Abfälle warteten. Es war kaum Platz zum Umdrehen und trotz der Kälte draußen war es in der Küche heiß wie in einem Ofen.
Mercy blieb am Rand dieses brummenden Bienenstocks stehen und lauschte. Die Dienerschaft war unter Druck, aber dennoch aufgeregt. Ein großes Ereignis stand bevor. Bald würde das Haus voller Leute sein. Die Vergas würden Gastgeber einer prachtvollen Mittwintergesellschaft sein. Alle Familien der Umgebung würden teilnehmen. Während die Dame und der Herr des Hauses sich vorbereiteten, würde das Heer von Dienstboten, das Machtzentrum des Königreiches Century, putzen, kochen, dekorieren und schmücken, die Gäste bedienen und danach alles wieder in Ordnung bringen. Doch würden auch sie etwas von den Vergnügungen haben. Die Dienerschaft würde heute nämlich auch gut essen. Sie würden den einen oder anderen Blick auf die feinen Kleider der Gäste werfen können. Musikanten würden auftreten und vielleicht würden die Dienstboten sie auch spielen hören. Ja, bei aller Arbeit, die Gesellschaft würde Abwechslung und Farbe in den langen dunklen Wintertag bringen.
Mercy zog sich in die vertraute Umgebung der Bibliothek zurück, wo Trajans Das Haus der kalten Herzen
auf einem Tisch lag. Mit den Fingerspitzen strich sie über den roten Einband. Dieses Mal sah das Buch ein wenig abgenutzt aus, die Seiten waren an den Rändern vergilbt. Vielleicht übertrug Mercy alle Kraft auf ihr eigenes Buch, indem sie Trajans Zauberbann Seite um Seite auflöste.
Sie griff nach Feder und Tinte, zog ihre Beine auf den Stuhl und schlug ihr eigenes rotes Buch auf. Dann begann sie, über die Ereignisse des vorigen Tages zu schreiben. Sie erzählte alles nach, was sie wusste, und versetzte es mit eigenen Überlegungen und Zweifeln. Als sie fertig war, stand ein strahlend blauer Himmel vor dem Fenster. Das Eis auf den Zweigen fing an zu schmelzen und herunterzurutschen.
Später am Morgen huschten die kleine Mercy und die kleine Charity in den Raum, um eine Mahlzeit aus Brot und Käse und Aprikosenscheiben aus dem Gewächshaus zu sich zu nehmen. Die Mädchen schnatterten und stritten und freuten sich auf die Ankunft ihrer Freunde. Galatea, streng wie immer, kam herein und schalt sie für den Lärm. Charitys Haar wurde mit feuchten Tüchern gekräuselt, damit ihre Löckchen besser zur Geltung kamen. Wehmütig hörte Mercy dem Geplapper zu. Wie hübsch und sauber die Kleider der beiden waren. Die Mädchen strahlten in froher Erwartung. Wie aufregend es war, auf eine Gesellschaft zu gehen, Gäste willkommen zu heißen, zu tanzen und Musik zu hören. Trotz ihrer Befürchtungen teilte Mercy die Aufregung der Mädchen, sie konnte nichts dagegen machen.
Am frühen Nachmittag würden die Gäste vor dem Haus vorfahren. Die Gesellschaft würde die lange Sonnenwendnacht über andauern, bis zum nächsten Morgengrauen. So ein Fest hatte Century noch nicht erlebt. Niemand erwähnte Claudius oder Marietta, doch über Chloe redete die kleine Mercy ausgiebig.
Die beiden Mädchen wurden
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