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Das Haus der kalten Herzen

Das Haus der kalten Herzen

Titel: Das Haus der kalten Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Singleton
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in ihre Zimmer gescheucht, damit sie sich umzogen. Mercy stopfte das rote Buch unter den Stuhl und machte sich auf die Suche nach ihrer Mutter.
    Thekla befand sich in ihrem Schlafzimmer. Im Kamin tanzten Flammen über den mit Äpfeln aromatisierten Scheiten. Theklas Zofe frisierte ihr das Haar, während Thekla ihr Spiegelbild musterte. Mercy setzte sich auf die Kante des großen Bettes, von dort aus konnte sie einen Blick auf ihre eigene abgerissene Erscheinung werfen: ein rußverschmiertes Gesicht, ein zerrissenes Kleid und ein Wust wirrer Haare. Die Zofe steckte Theklas Haar hoch und befestigte es mit Perlennadeln, Schmuck aus Stechpalmenbeeren und winzigen Efeublättern. Thekla puderte ihr Gesicht weiß, malte die Lippen rot und klebte sich ein winziges rotes Herz auf ihre rechte Wange. Dann stellte sie sich in ihren Unterkleidern und einem Reifunterrock hin, während die Zofe ein stechpalmengrünes Kleid aus dem Schrank holte. Behutsam zog sie Thekla das Kleid über den Kopf, schloss die kleinen Knöpfe am Rücken des eng anliegenden Oberteils und zupfte die Röcke zurecht, die sich über den Unterrock ergossen.
    Dann betrachtete Thekla sich im Spiegel, sie drehte sich, um das Kleid aus jedem Blickwinkel anschauen zu können.
    »Du bist wunderschön.« Trajan trat in den Raum und umarmte seine Frau. Die Zofe zog sich zurück und verließ das Zimmer.
    Trajan öffnete ein Lederetui. »Sieh her«, sagte er voller Stolz. »Wirst du sie heute Abend tragen?« Auf einem silbernen Samtkissen lag eine Handvoll großer roter Edelsteine. Mercy hatte die Juwelen auf Bildern gesehen, die noch im Haus hingen, an den Hälsen von Vergas aus der Vergangenheit, ihren weiblichen Vorfahren. Jetzt legte Trajan die Kette um Theklas gepuderten Hals, die Juwelen funkelten.
    »Wie fühlst du dich?«, fragte Thekla, die die Steine mit den Fingerspitzen berührte. »Glaubst du, wir werden Erfolg haben?«
    »Ich gestehe, dass ich nervös bin«, sagte er. »Wir sind so lange unter uns geblieben. Da ist es doch ein Risiko, so viele Leute zu uns zu bitten, oder? Bist du sicher, dass das weise war?«
    »Wir stellen uns zur Schau«, sagte Thekla nachdenklich. »Auf jeden Fall werden wir wieder umziehen müssen, irgendwann, zurück in die alte Heimat. Wenn die Leute bemerken, wie wenig wir uns verändern.«
    »Wir haben noch so viel Zeit. Die Jahre, in denen die Kinder heranwachsen«, sagte Trajan, um sich selbst zu beschwichtigen. »Es ist besser für sie hierzubleiben.«
    Thekla nahm einen mit Rosen bemalten Seidenfächer in die Hand.
    »Die Gäste treffen bald ein«, sagte Trajan.
    »Und noch immer kein Zeichen von Claudius?«
    Trajan schüttelte den Kopf. »Vielleicht kommt er noch zur Besinnung. Mariettas Vater hat mir erzählt, das Mädchen müsse in seinem Zimmer bleiben.«
    »Das war grausam von dir«, sagte Thekla nachdenklich. »Ihrer Familie zu erzählen, dass Claudius nicht vertrauenswürdig sei. Dass er ältere … Verpflichtungen habe.«
    »Grausam, aber notwendig.«
    Mercy sah ihre Eltern einen bedeutsamen Blick wechseln.
    »Welch ein Segen für uns, dass wir einander gefunden haben«, sagte Thekla. »Erinnerst du dich noch an den Tag, an dem unsere Eltern uns einander vorgestellt haben? Wir waren noch Kinder in dem großen Haus in der alten Heimat?«
    »Ohne dich wäre ich nur Staub, der vom Wind verweht würde. Du bist alles für mich. Du und unsere Töchter.«
    Sie standen voreinander und hielten sich die Hände. Trajan schien seiner Frau prüfend ins Gesicht zu sehen.
    »Wirst du meiner eines Tages überdrüssig werden, auf dem langen Weg durch die Jahrhunderte?«, fragte sie lächelnd, denn sie kannte die Antwort.
    »Nicht in tausend Jahren, nicht einmal in zehntausend«, sagte er.
    Mercy spürte einen Stich in ihrem Herzen, als sie die Liebe und Jugend im Gesicht ihres Vaters sah. Was für ein angespannter, wütender, gebrochener Mann doch aus ihm geworden war.
    Unten wurde es unruhig. Mercy lief an ihren Eltern vorbei, die Treppe hinunter in die Halle. Eine schwarze Kutsche war vor der Steintreppe vorgefahren. Eine weitere Kutsche wartete dahinter und eine dritte kam über die Auffahrt angefahren. Die Gäste trafen ein.
    Ein fahler Wintertag am Ende des Jahres 1789. Das Haus erstrahlte im Kerzenschein. Hundert Gäste in ihrem feinsten Staat. Die Männer hatten ihr Haar mit Muskat und Goldstaub gepudert. Die Frauen waren wie exotische Blumen, sie trugen Kleider aus feiner Seide und besticktem Samt. Glänzende Efeuranken

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