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Das Haus der kalten Herzen

Das Haus der kalten Herzen

Titel: Das Haus der kalten Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Singleton
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Charity. Sie war also doch nicht verrückt. Charitys versteckte Briefe waren der Beweis für die Wahrheit, die sie in ihrem Herzen bereits gekannt hatte. Mercys Abenteuer waren nicht die Wahnvorstellungen einer Irren gewesen, die in einer Zelle eingesperrt war. Alles war wahr.
    Sie blätterte die Seiten ihres roten Buches durch und legte die Bilder dazwischen. Mit der abgenutzten Feder schrieb sie vom Fest, von Mariettas Ertrinken, von Fredericks Bache und dem Feuer im Laboratorium. Und sogar über ihre Erfahrungen in dem falschen Irrenhaus.
    Jetzt musste sie fliehen. Das letzte der fünf Kapitel wartete noch auf seine Entdeckung. Die Tür, erinnerte sie sich, lag in ihrem eigenen Zimmer hinter dem Frisiertisch. Den hievte sie zur Seite, nahm das Buch und drückte gegen die Wand. Rutschte sie nun zurück in das Reich der Wahnvorstellungen oder kam sie der Freiheit näher? Sie wünschte sich Wahrheit, fiel nach vorn in den leeren Raum und fragte sich, was das Tageslicht wohl bringen mochte.

Zehn
    Der Schnee war geschmolzen. Der Wintertag war grau und nasskalt. Mercy ging neben ihrer Schwester aus dem Haupteingang. Zwei Pferde mit schwarzen Federbüscheln am Zaumzeug wurden unruhig im Geschirr. In der Kutsche mit den gläsernen Wänden stand ein Sarg.
    Der Weg zur Kapelle der Vergas war kurz. Die Familie, Trajan, Claudius, Charity und Mercy folgten der Kutsche den Pfad entlang zur Kapelle. Aurelia und Galatea, die die Dienerschaft anführten, gingen hinter ihnen her. Der Wind wehte die Tränen aus Mercys Augen. Sie trug ein schwarzes Kleid, Fellhandschuhe und eine Mütze.
    Alles hatte sich verändert. Sie war nun nicht mehr Mercy, die Beobachterin. Sie war in die Fußstapfen ihres früheren Selbst getreten, eines zehnjährigen Mädchens, und folgte dem Leichenwagen.
    Niemand sprach. Der Wind stöhnte. Öde und grau lagen die Felder da. Hinter dem buckligen Rücken der Kapelle ragten die Bäume auf. Von Zeit zu Zeit streifte Mercys Blick Charity, deren Gesicht fahl und verschlossen war. Sie hielt ein Gebetsbuch in der Hand. Mercy hatte kein Gebetsbuch. Das Buch, das sie trug, war rot mit einer Goldprägung. Sie hielt es fest.
    Der Leichenwagen fuhr vor der Kapelle vor. Die Familie wartete, während die Diener vortraten und den Sarg mit seinem Kranz aus weißen Rosen und fleischigen Lilienblüten schulterten. In der Kapelle fing Mercy an zu zittern. Es war so kalt. Der nun offene Sarg stand auf einer Bahre vor dem Altar. Kerzen, weiß wie Eis, brannten. Die Luft war gewürzt mit dem Geruch von alten Mauern, einem Hauch Weihrauch und dem Duft von Lilien.
    Mercy, Charity und Trajan nahmen die erste Bank rechts vom Gang. Claudius die links, Aurelia und Galatea setzten sich auf die dahinter und die anderen Dienstboten blieben ihrer jeweiligen Stellung entsprechend noch weiter hinten. Ein Priester begann mit der Liturgie.
    Mercy hörte nicht, was er sagte. Sie schaute sich in der Kapelle um und studierte die Buntglasfenster. Hinter dem Altar sah man Christus am Kreuz, sein Körper weiß wie Papier, das Lendentuch flammend rot. Rechts und links von diesem Fenster wölbten sich die Flügel von Marmorengeln. Im Sarg lag Thekla auf elfenbeinfarbene Seide gebettet. Ihre Augen waren geschlossen, die Lippen ein wenig geöffnet. Aurelia und die Zofe hatten die Leiche mit einem blassgoldenen Gewand bekleidet. Das Haar fiel ihr offen über die Schultern.
    Mercy hatte an diesem Morgen nichts gegessen. Sie konnte nicht schlucken. Jetzt knurrte ihr der Magen. Sie sehnte das Ende der Totenfeier herbei. Wie banal sie ihr vorkam. Das Geleier des Priesters stand in keinem Zusammenhang mit ihrer Mutter oder Mercys Gefühlen von Schmerz und Verlust. Ihr Leben hatte aufgehört, einen Sinn zu ergeben. Sie fühlte sich gebrochen und leer. Elf Tage waren seit Theklas Tod vergangen, aber Mercys Leben war zum Stillstand gekommen. Sie klebte auf einer Stelle. Dass das Leben ohne ihre Mutter weitergehen könnte, schien ihr unmöglich. Die Sonne ging auf und wieder unter, Essen wurde ihr vorgesetzt, aber Mercys Gedanken gingen nicht weiter als bis zu dem Augenblick, in dem ihre Mutter gestorben war. Sie konnte nicht fassen, was geschehen war. Wenn sie durchs Haus ging, rechnete sie immer damit, Theklas Stimme zu hören, ihr geliebtes Gesicht zu sehen, ihren zarten Duft einzuatmen. Sie erinnerte sich ständig daran, dass Thekla tot war, aber ihr Körper, ihr Herz konnten nicht glauben, dass es wahr sein sollte. Es konnte nicht sein. Gleich würde sie

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