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Das Haus der Madame Rose

Das Haus der Madame Rose

Titel: Das Haus der Madame Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatiana de Rosnay
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zum Präfekten erlebte ich den Beginn der Stadterneuerung mit, die Begeisterung, den Reiz der Moderne, die alle im Munde führten. Ich erlebte die Verlängerung der Rue de Rivoli, den Bau des Boulevard de Sébastopol, für den das Haus meines Bruders abgerissen wurde, die Einweihung des Boulevard du Prince-Eugène, des Boulevard de Magenta, der Rue Réaumur, den Ausbau der Rue de La Fayette, der Rue de Rennes und des Boulevard Saint-Germain … Den Rest Ihres Wirkens werde ich nicht mehr miterleben müssen, und dafür bin ich unendlich dankbar.
    Noch eine letzte Bemerkung. Waren Sie, der Kaiser und Sie selbst, denn nicht überfordert von der schieren Dimension Ihrer hochfliegenden Pläne?
    Mir scheint, das ungeheure Ausmaß Ihrer einvernehmlichen ehrgeizigen Projekte hat Sie zu der Ansicht geführt, Paris sei nicht nur die Hauptstadt Frankreichs, sondern der ganzen Welt.
    Ich werde mich Ihnen nicht beugen, ich werde mich auch dem Kaiser nicht beugen. Ich lasse mich nicht verjagen wie die anderen Pariser Herdenschafe, deren Existenzen Sie zerstört haben. Ich werde mich Ihnen widersetzen.
    Im Namen meines verstorbenen Mannes Armand Bazelet, der in unserem Haus in der Rue Childebert geboren wurde, gelebt, geliebt hat und gestorben ist, werde ich niemals weichen.
    Rose Bazelet

Mitten in der Nacht spürte ich jemanden neben mir und wäre fast ohnmächtig geworden. Einen panikerfüllten Moment lang dachte ich, es wäre der Eindringling und keiner würde mich je hören, wenn ich hier unten im Keller schrie. Ich fürchtete, meine letzte Stunde wäre gekommen. Ein paar quälende Momente lang suchte ich nach den Streichhölzern und versuchte die Kerze anzuzünden.
    Mit zitternder Stimme rief ich: »Wer ist da?«
    Ich spürte eine warme Hand. Zu meiner Erleichterung und meinem Erstaunen war es Alexandrine. Sie war mit dem Schlüssel, den sie noch hatte, ins Haus gekommen und im Dunkeln die Treppe zu mir heruntergeschlichen. Sie hatte also begriffen, dass ich mich hier versteckte. Ich bat sie eindringlich, mich nicht zu verraten. Sie sah mir im trüben Kerzenschein in die Augen, sie wirkte sehr erregt.
    »Waren Sie die ganze Zeit hier, Madame Rose?«
    Ich erklärte ihr ausführlich, dass mein Freund Gilbert, der Lumpensammler, mich unterstützte, dass er täglich für mich Essen, Wasser und Kohle besorgte, dass es mir bestens ging trotz der Eiseskälte, die in die Stadt eingezogen war. Sie nahm meine Hand und stammelte richtiggehend, als sie ausrief: »Aber Sie können nicht länger hierbleiben, Madame Rose! In den nächsten vierundzwanzig Stunden wird das Haus abgerissen! Es wäre Irrsinn, hierzubleiben, Sie werden …« Unsere Blicke trafen sich, diese haselnussbraunen Augen, aus denen die Klugheit strahlte, und ich hielt ihrem Blick ruhig und mit geradem Rücken stand. Sie schien tief in meinem Inneren eine Antwort zu suchen, und ich gab ihr diese Antwort stumm. Sie brach in Tränen aus. Ich nahm sie in den Arm, und so saßen wir lange da, bis ihr Schluchzen ein wenig nachließ. Als sie sich wieder gefasst hatte, flüsterte sie nur: »Warum?«
    Ich verlor mich im Ausmaß ihrer Frage. Wie sollte ich ihr das nur erklären? Wo sollte ich beginnen? Die kalte, schneidende Stille umfing uns. Mir war, als hätte ich schon immer hier unten gelebt, als würde ich nie mehr das Tageslicht sehen. Wie spät war es? Es spielte keine Rolle. Die Nacht schien stillzustehen. Der Modergeruch des Kellers hatte sich mittlerweile in Alexandrines Haar und Kleider gestohlen.
    Für mich war sie wie eine Tochter, während ich sie an mich drückte – als wären wir vom selben Fleisch, vom selben Blut. Wir wärmten uns gegenseitig, und ich denke, uns verband eine Art Liebe, ein mächtiges Band der Zuneigung war zwischen uns gesponnen, und in jenem Moment fühlte ich mich ihr näher, als ich mich jedem anderen Menschen in meinem Leben je gefühlt hatte, selbst Dir. Ich hatte das Gefühl, ich könnte ihr alles sagen, was auf mir lastete, hatte das Gefühl, sie würde es verstehen. Ich holte tief Luft und begann zu erzählen, dass dieses Haus mein Leben bedeute, dass jeder Raum eine Geschichte erzähle, meine Geschichte, Deine Geschichte. Nach Deinem Tod war es mir nie gelungen, Deine Abwesenheit auf irgendeine Weise auszugleichen. Deine Krankheit hat meine Liebe zu Dir nicht geschwächt, sondern im Gegenteil gestärkt.
    In seiner inneren Struktur, in seiner malerischen Schönheit barg das Haus die Geschichte unserer Liebe. Es war auf immer und ewig

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