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Das Haus der Madame Rose

Das Haus der Madame Rose

Titel: Das Haus der Madame Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatiana de Rosnay
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geschildert, die Kristallgläser, das feine Porzellan, die fünfzig riesigen Kandelaber. Die Kaiserin hatte ein Taftkleid getragen, das mit Rubinen und Diamanten besetzt war. (Alexandrine war der Mund offen gestanden, ich war wie versteinert gewesen.) Jeder Pariser wusste, dass der Präfekt den besten Weinkeller der Stadt pflegte. Jeder Pariser wusste auch, dass das einzige Licht, das ein einzelnes Fenster im Hôtel de Ville erleuchtete, wenn er zu früher Stunde durch die Rue de Rivoli ging, im Zimmer des Präfekten brannte, der sich abrackerte, nur um seine Armee aus Spitzhacken in unsere Stadt ausschwärmen zu lassen.
    Da wir keinen Termin mit einem bestimmten Beamten hatten, schickte man uns in den ersten Stock zur Abteilung für Grundbesitz und Enteignung. Dort trafen wir mit sinkendem Mut auf eine lange Warteschlange. Wir stellten uns an und übten uns in Geduld. Ich fragte mich, wer all diese Leute waren und was sie für Anträge stellen wollten. Die Dame vor mir war in meinem Alter, sie hatte ein müdes Gesicht und abgetragene Kleidung. Aber die Ringe an ihren Fingern waren prächtig und kostbar. Neben ihr stand ein bärtiger Mann mit ernstem Gesicht, ungeduldig klopfte er mit dem Fuß auf den Boden und sah alle zehn Minuten auf die Uhr. Da war auch eine ganze Familie, junge Eltern, sehr ordentlich, mit einem quengeligen Kleinkind und einem gelangweilten kleinen Mädchen.
    Wir warteten. Von Zeit zu Zeit ging eine Tür auf, und ein Beamter kam und notierte die Namen der Neuankömmlinge. Mir kam es vor, als dauerte es Ewigkeiten. Als wir endlich an der Reihe waren, durften wir das Büro nicht gemeinsam betreten, nur einzeln. Kein Wunder brauchte das alles so lange! Wir ließen Madame Paccard als Erste gehen.
    Die Minuten flossen träge dahin. Als sie schließlich wieder herauskam, schien ihre Miene noch länger geworden zu sein, sie hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Sie murmelte etwas, das ich nicht verstand, und sank, den Kopf in den Händen, auf einen Stuhl. Doktor Nonant und ich betrachteten sie beklommen. Die Dame mit der ramponierten Kleidung war vorher im selben Zustand aus dem Büro gekommen, Tränen waren ihr übers Gesicht gelaufen. Ich wurde immer nervöser. Ich ließ Doktor Nonant den Vortritt, denn ich wollte mir die Beine vertreten, der Raum war stickig und muffig, voll von den Gerüchen und Ängsten der anderen.
    Ich ging in den breiten Flur hinaus und lief auf und ab. Es ging so emsig zu wie in einem Bienenstock. Hier entschied sich alles. Die allmähliche Zerstörung unserer Stadt hatte hier ihren Anfang genommen. All diese geschäftigen Männer, die mit Unterlagen und Akten umhereilten, hatten etwas mit diesem Umbau zu tun. Wer von ihnen hatte entschieden, dass der Boulevard direkt an der Kirche vorbeiführen sollte? Wer hatte die aktuellen Pläne gezeichnet? Wer hatte den ersten tödlichen Strich gezogen?
    Wir hatten alle von den herausragenden Mitarbeitern des Präfekten gelesen. Wir kannten ihre Gesichter, denn sie waren mittlerweile berühmt. Die Crème de la Crème der Elite unseres Landes, die brillantesten Ingenieure mit den besten Diplomen vom Polytechnikum und von der Hochschule für Hoch- und Tiefbau, der École Nationale des Ponts et Chaussées . Victor Baltard, der »Eisenmann«, errichtete die riesigen Markthallen, von denen ich Dir erzählt habe. Jean-Charles Alphand erlangte als »Gärtner« Berühmtheit, weil er unserer Stadt grüne Lungen gab. Der allbekannte »Wassermann« Eugène Belgrand war besessen von unserer Kanalisation. Gabriel Davioud baute zwei Theater an der Place du Châtelet, dazu diese missliche, überdimensionierte Fontaine Saint-Michel, den Brunnen an der Place Saint-Michel. Alle diese Männer spielten eine prominente Rolle und sonnten sich in ihrem Ruhm.
    Und der Kaiser beobachtete all dies natürlich von der goldenen Zuflucht seiner Paläste aus, fernab von Schutt, Staub und der ganzen Tragödie.
    Als ich dann aufgerufen wurde, musste ich vor einem blonden jungen Mann Platz nehmen, der mein Enkel hätte sein können. Er hatte langes, welliges Haar, auf das er übermäßig stolz zu sein schien, er trug einen tadellosen hochmodischen dunklen Anzug und polierte Schuhe. Sein Gesicht war ebenmäßig und hatte den zarten Teint eines Mädchens. Auf seinem Schreibtisch stapelten sich Aktenmappen und Ordner. Hinter ihm saß ein älterer Herr mit Brille über eine Schreibarbeit gebeugt. Blinzelnd warf mir der junge Mann einen trägen, hochmütigen Blick zu und

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