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Das Haus der Madame Rose

Das Haus der Madame Rose

Titel: Das Haus der Madame Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatiana de Rosnay
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triumphierten am Ende über die schiere Ungeheuerlichkeit der Wahrheit. Ich habe es Dir nie erzählt. Ich konnte einfach nicht. Während ich täglich über diese Stelle auf dem Teppich hinwegstieg, stieg ich über die Erinnerung hinweg. Ich blendete sie aus, ich wischte sie weg wie einen Fleck. Wie schaffte ich das? Wie hielt ich das aus? Ich tat es einfach. Ich riss mich zusammen wie ein Soldat vor der Schlacht. Die Jahre vergingen. Das Grauen verblich. Der Teppich, auf dem es geschehen war, verblich auch, bis man ihn eines Tages durch einen neuen ersetzte.
    Sogar heute noch, Liebster, kann ich die Worte nicht niederschreiben, kann die Sätze nicht formulieren, die die Wahrheit darlegen. Ich kann nicht. Doch die Schuldgefühle belasteten mich ständig und immer. Und, weißt Du, als Baptiste starb, da war ich sicher, Gott wollte mich für meine Sünden bestrafen.
    Nach dem Tod unseres Sohnes versuchte ich mich Violette zuzuwenden. Sie war nun mein einziges Kind. Aber sie ließ meine Liebe nicht zu. Sie blieb unnahbar, distanziert und war ein wenig herablassend, so als wäre ich für sie minderwertiger als Du. Jetzt, mit der Distanz, die das Alter einem schenkt, verstehe ich, dass sie vielleicht darunter litt, dass ich ihren Bruder vorgezogen hatte. Ich sehe jetzt ein, dass es als Mutter mein größter Fehler war, Baptiste mehr zu lieben als Violette, und dies auch zu zeigen. Wie ungerecht ihr das vorgekommen sein muss. Immer gab ich ihm den glänzendsten Apfel, die süßeste Birne. Er musste im Schatten sitzen, im weichsten Bett liegen, im Theater den besten Platz bekommen, bei Regen einen Schirm haben. Hat er das je ausgenutzt? Hat er auf seine Schwester herabgesehen? Vielleicht unwissentlich. Vielleicht fühlte sie sich seinetwegen noch weniger geliebt.
    Ich versuche mir in aller Ruhe über all das klar zu werden. Meine Liebe zu Baptiste war die stärkste Kraft in meinem Leben. Warst Du überzeugt, ich könnte nur ihn lieben? Fühltest auch Du Dich vernachlässigt? Ich erinnere mich, dass Du einmal eine Bemerkung darüber verloren hast, wie vernarrt ich in den Jungen sei. Das war ich. O ja, Liebster, das war ich. Und als die fürchterliche Wahrheit ans Licht kam, liebte ich ihn umso mehr. Ich hätte ihn hassen, ihn zurückstoßen können, aber nein, meine Liebe glühte umso heißer, als hätte ich ihn um jeden Preis vor seinen schrecklichen Wurzeln schützen müssen.
    Erinnerst Du Dich, dass ich nach seinem Tod nichts von seinen Sachen wegwerfen konnte? Viele Jahre lang war sein Zimmer eine Art Schrein, ein Tempel für meinen geliebten Sohn. Dort saß ich wie in Trance und weinte. Du warst rücksichtsvoll und liebevoll, aber Du hast es nicht verstanden. Wie konntest Du auch? Violette, die mittlerweile ein junges Mädchen war, verachtete meine Trauer. Ja, ich hatte das Gefühl, bestraft worden zu sein. Mein Goldprinz war mir genommen worden, weil ich gesündigt hatte, weil ich nicht in der Lage gewesen war, den tätlichen Angriff zu verhindern. Weil alles meine Schuld war. Und jetzt, Armand, während ich die Männer des Abbruchtrupps durch die Straße kommen höre, ihre lauten Stimmen, ihr derbes Lachen, ihre Kampfeslust, die sich an ihrer horrenden Aufgabe entzündet, jetzt ist mir, als würde ich erneut überfallen. Doch dieses Mal ist es nicht Monsieur Vincent, der mich mit der Waffe seiner Männlichkeit nötigt, mich seinem Willen zu beugen, nein, es ist eine Riesenschlange aus Stein und Zement, die das Haus dem Erdboden gleichmachen und mich ins Nichts katapultieren wird. Und hinter dieser grässlichen Steinschlange steht der Mann, der das Sagen hat. Mein Feind. Dieser Bärtige, dieser Haussmann. Er.

Dieses Haus ist wie mein Leib , wie meine Haut, mein Blut, meine Knochen. Es trägt mich, wie ich unsere Kinder austrug. Es wurde beschädigt, es hat gelitten, es wurde geschändet, es hat überlebt, aber heute wird es einstürzen. Heute kann nichts mehr dieses Haus retten, nichts kann mich noch retten. Da draußen ist nichts, Armand, nichts und niemand, an dem ich hänge. Ich bin jetzt eine alte Frau, es ist Zeit für mich, zu gehen.
    Nach Deinem Tod hat mich eine Zeitlang ein Herr umworben. Monsieur Gontrand, ein ehrbarer Witwer, ein heiterer Mann mit dickem Bauch und langen Koteletten. Er hatte ziemlichen Gefallen an mir gefunden. Einmal die Woche machte er mir seine Aufwartung mit einer kleinen Schachtel Pralinen oder einem Strauß Veilchen. Ich glaube, er hatte auch Gefallen an dem Haus und am Mietzins der

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