Das Haus der Rajanis
nicht zu, wünsche allein, ich könnt mich den Zugvögeln anschließen, die am Himmel über uns hinwegziehen, ihr Schweif lang und schwarz, ihr Schnabel klein und wohlgeformt und ihre Augen voller Anmut und Verständigkeit, mich zu ihnen zu gesellen auf ihrer langen Reise in ein anderes Land, und schon schrumpfen mein Kopf und mein Haarschopf zu einem schwärzlichen, anmutigen Schnabel, bedecken kleine Federn von weichem Flaum meinen Körper, dringt aus meiner Kehle ein Morgentschilpen, da meine Gestalt auf das einen Spalt weit geöffnete Fenster zufliegt und hinausschlüpft, meine Flügel flattern undmich durch die Äste und das Blattwerk des Johannisbrotbaumes tragen, denn fürwahr, nun bin ich ein schön gefiederter Vogel, der sich aufschwingt und steigt, höher und immer höher, hoch über unser Anwesen, das Wadi, das Meer und die wenigen Wolken, die am Sommerhimmel treiben, um mich dem Zug anzuschließen, der voran- und weiterreist, da die Stadt Jaffa langsam erwacht, ihre Märkte sich mit Händlern und Käufern füllen, frische Früchte auf den Ständen aufgetürmt werden, Bündel von Minze und Koriander und Teegläser auf kupfernen Tabletts den Blick des Vogels auf die Stadt sprenkeln, des Vogels, der all seine Ängste fallen lässt, seine sonderbaren Träume, die Prophezeiungen vom Ende aller Tage, die wie bleierne Gewichte seinen Körper verlassen, sodass er höher und höher schwebt, und die Deckel auf den Kasserollen scheppern und klappern.
23. September 1895, Neve Shalom
Die gnädige Frau liegt danieder mit einer neuen Ausflucht, ihrem Gatten nicht zu Willen zu sein. Den ganzen Tag ward sie, von einer schrecklichen Schwäche ergriffen, an ihr Bett gefesselt. Weshalb ich zum Hotel Kaminitz ging zu erfragen, wo ich wohl einen Arzt fände, und gesagt bekam, man würde uns schon in Bälde einen schicken.
Nach zwei Stunden oder deren dreie erschien dann unser Retter in Gestalt eines Arabers, der auf den Namen Doktor Al-Bittar hört, ein Mann von grobschlächtigem Äußeren mit kurzen, wulstigen Fingern, die ohne Unterlass beschäftigt mit einer Kette blauer Glasperlen, von ihm
Masbacha
genannt, und seine Zähne gelb vom Rauchen der
Nargila
, ebenjener beschlauchtengläsernen Flasche, deren Bekanntschaft ich auf dem Platz in Jaffa bereits gemacht. Die Erscheinung des Arabers gab gewisslich keinen Anlass zu der Vermutung, er habe sich jemals irgendwelche Weisheit angeeignet, indessen es trotz allem möglich schien, dass er der Rätsel und Mysterien der Medizin kundig war. Meine Frage beschied dieser dunkelhäutige Mann mit der Auskunft, er sei zuvörderst Experte für Geschlechtskrankheiten wie Gonorrhö, Syphilis und Pollution, aber auch für Impotenz, Leistenbruch und Hämorriden.
Ich sagte: «Und wie steht es mit der Influenza, der Malaria, der Dysenteria und den anderen Erkrankungen des Körpers? Wissen Sie auch diese zu heilen?»
Er ließ die
Masbacha
durch seine wurstgleichen Finger gleiten und murmelte: «Mit Allahs Hilfe.»
Gewissenhaft befühlte er den Puls der gnädigen Frau und ihre Schläfen, nahm ihre Zunge in Augenschein und machte sich alsdann einige Notizen in der Sprache der Araber, kritzelte Buchstaben, die an Fliegendreck gemahnen, hier und da gesprenkelt von winzigen Punkten und Strichen zuoberst und zuunterst, derweil er die ganze Zeit über Sorgen verheißend vor sich hin murmelte, die Stirn in Falten warf und sich auf seine fleischigen, braunen Lippen biss, um endlich ebendiese Diagnose abzugeben: «Der Körper der Madame hat sich noch nicht an das warme Klima Asiens gewöhnt. Die Arznei, die ihr Linderung verschaffen wird, ist Hirse mit Chinin.» Sprach’s, nahm geschwind sein Salär von einem Silberrubel und machte sich aus dem Staub.
Mutter hat mich auf einen Pferdewagen gesetzt, den sie beizeiten gemietet, um mich zu einem berühmten Arzt nach Jaffa zu bringen,der meine sonderbare Krankheit ergründen soll, und den ganzen Weg über, da wir südwärts fahren, anfangs unweit der Häuser von Sarona und hernach dem sich windenden Wadi Musrara folgend, dessen sprudelnde Fluten uns entgegenschäumen, diese ganze Wegstrecke über horcht sie mich aus nach dem Grund der schwarzen Tage, die über mich gekommen sind, beharrt darauf, ich möge ihr endlich verraten, warum ich Nacht für Nacht aus dem Schlaf erwache, mein Körper schweißüberströmt und meine Kehle verschleimt, um mir im nächsten Moment zu befehlen, gerade zu sitzen und mich an der Seitenwand des Fuhrwerks festzuhalten,
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