Das Haus der Rajanis
Tür des Hauses mir gegenüber, über der sich steinerne Bögen erhoben und die zu beiden Seiten von Sandsteinquadern begrenzt, und dort stand ein schwarzhaariger Knabe von zehn oder zwölf Jahren und starrte mich an, und es kam eine leichte Röte über seine blassen, sorgenvollen Wangen. Seine ungelenken Handbewegungen verrieten, dass er nicht recht bei Verstande war. Und während er noch dort stand, legte eine junge, grünäugige Araberin, allem Anscheine nach seine Mutter, ihre Hand auf ihn und gesellte sich zu ihm in die Toröffnung. Von ihrem Antlitz her war sie nicht eben schön, ja ihren dicken Brauen wohnte beinahe so etwas wie eine hässliche Note inne, und ihr mit einem schwarzen Schleier bedeckter Kopf erhob sich nicht stolz und gravitätisch auf einem schwanengleichen Hals wie bei der gnädigen Frau. Andererseits war ihre Haut milchigbraun und höchst reizend, und unter ihrem dunklen Gewand wölbte sich ein Paar hübsch anzusehender Kitzen.
Ich lüftete von dort, wo ich stand, grüßend meinen Hut zu der Mutter des Knaben. Die Frau ließ gleich ein verführerisches Kichern hören, in dem manch Andeutung war, weshalb ich mich flugs aufmachte, die Gasse zu queren und mich ihr zu nähern, als in ebenjenem Moment, auf einen Schlag, ein
Kawass
, ein Konsulatswächter, die Gasse betrat und mit tönender Stimme vom Nahen einer Karawane kündete, und gleich darauf ein Kamel mitgespaltener Lippe und ein dickbauchiges Maultier erschienen, gefolgt von einer Gruppe schwarzhäutiger Reiter auf eifrig kotenden Eseln, die vereint für grässlichen Staub und schrecklichen Lärm sorgten. Und als sich die Wolken und das Getöse gelegt und verflüchtigt, hatte sie die Tür geschlossen, waren der Knabe und die Frau verschwunden und mit ihnen ihr Lächeln, ihre Lippen und ihr infantiles Kichern.
Derweil ich noch im Eingang der Klinik des Al-Bittar Al-Hakim stehe, bemüht, meine Fassung zurückzugewinnen, Mutter endlich kommt und einen Augenblick oder deren zweie neben mir verweilt, ich meine Träne schlucke und mich an ihre Hüften schmiege, geschieht mir etwas Sonderbares und Befremdliches, denn ein Mann, ein Fremder, keiner von den Söhnen Arabiens, steht dort in der Gasse, schaut mich an und lächelt frohgemut und gewinnend, worauf ich von Scham ergriffen den Kopf wende, doch er, er lässt die Augen nicht von mir, zieht seinen Hut und vollführt eine launige Verbeugung, ja deutet gar mit dem Mittelfinger auf mich, als wollte er sagen, «Du, Junge, du!», worauf nun ich den meinen Finger unmerklich bewege, wie um ihn zu fragen, «Wer, ich?», denn was sollten dieser stattliche Mann und ich gemein haben, doch abermals bedeutet er mir, ich sei gemeint, sodass ich ihn frage, «Und wer belieben der gnädige Herr zu sein?», und er erwidert, «Weißt etwa du es nicht? Ich bin ein Engel», um sogleich ein Paar blütenweiße Flügel zu schwingen, die ihm mit einem Male zwischen den Schultern gewachsen, da der Abendwind sanft mit seinen güldenen, herrlichen Locken spielt, der Engel heiter und sorglos lächelt, seine Flügel ausbreitet und in die Höhe steigt, um mir mit der süßesten Stimme zuzuflüstern«Salach, Salach, fürchte dich nicht, Engel ohne Zahl behüten dich», und schon weckt ein sanftes Rauschen auf meinem Rücken ungläubiges Erstaunen in mir, denn fürwahr, ein Paar jungfräulich weiße, von weichem Flaum bedeckte Flügel bewegen sich dort, da mit einem Mal Staubwolken von den Hufen eines Kamels, eines Maultiers und eines Zugs von Eseln aufgewirbelt, die unversehens in die Gasse gestürmt kommen, doch der Engel und ich schweben schon hoch über alldem, da unsere Flügelschläge sich mit den Tänzen der Derwische in der
Djami’a al-Bachr
, der Moschee des Meeres, vermischen und Jaffa von unzähligen Flüssen überflutet wird, Strömen von Süß- und Salzwasser, seine Felsen und Klippen aus der Ferne sich zuspitzen und alle seine Ungetüme sich strecken und Wassertropfen zu Tausenden und Abertausenden versprühen, doch alldem schenke ich keine Beachtung mehr, denn meinem guten Freund ich nun gehöre und er mir.
25. September 1895, Neve Shalom
Es ist dies zur Nachtstunde. Die gnädige Frau ist in tiefen Schlaf versunken, noch immer kränklich und schwach. Vor dem Zubettgehen hat keine gesegnete Nachtruhe sie mir gewünscht, ja mich nicht einmal eines Blickes gewürdigt.
Mein eigener Schlaf will sich nicht einstellen, doch nicht die gnädige Frau trägt Schuld daran, sondern die Araberin, die ich am gestrigen
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