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Das Haus der tausend Blueten

Das Haus der tausend Blueten

Titel: Das Haus der tausend Blueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Lees
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hatte ihr niemand irgendetwas gesagt. »Dein Vater war auch nicht besonders groß«, war die übliche Antwort gewesen.
    Mabel zog die hölzernen Nadeln aus ihrem Haar – sie hatte sie selbst aus Bambus angefertigt – und schüttelte es aus. Sie hatte noch ein anderes Foto von Lu See in ihrer Gesäßtasche stecken, aber der tägliche Regen und die Hitze hatten es unansehnlich werden lassen. Sie zog es heraus und starrte das fleckige Gesicht ihrer Mutter an, während sich in ihrem Kopf die üblichen Anschuldigungen formierten.
    Wenn sie es mir nur früher gesagt hätte, dachte Mabel. Warum hat sie mir so lange verschwiegen, dass meine leibliche Mutter mich einfach weggegeben hat? Warum hat sie gewartet, bis ich neunzehn war, bevor sie es mir gesagt hat? Es tut noch immer weh, dass sie so lange an ihrer Lüge festgehalten hat. Das hat mein ganzes Leben zu einer einzigen Farce und mich selbst zu dem Ergebnis eines einzigen großen Schwindels gemacht. Hat sie es getan, um mich zu schützen? Glaubte sie, ich würde die Wahrheit nicht verkraften?
    Mabel biss die Zähne zusammen. Sie brauchte ganz bestimmt nicht beschützt zu werden.
    Mabel fragte sich oft, was geschehen wäre, wenn sie es durch irgendeinen Zufall selbst herausgefunden hätte. Wäre das dann noch schlimmer für sie gewesen? Hätte ihr Leben vielleicht einen anderen Verlauf genommen, wenn sie es früher erfahren hätte? Vielleicht wäre sie dann nicht mit Bong in den Dschungel gegangen. Vielleicht hätte sie dann ihre Ausbildung abgeschlossen. Sie hätte vielleicht sogar nach ihrer leiblichen Mutter gesucht. Jedenfalls wäre sie jetzt nicht hier, um mit der ganzen Welt abzurechnen.
    Aber wen bestrafe ich eigentlich – Lu See oder mich selbst? Wie war das noch mit dem Sich-ins-eigene-Fleisch-Schneiden?
    Mabel atmete tief ein. Sie empfand keine Bitterkeit mehr, hatte nicht mehr das Gefühl, als würde der Himmel wie ein schwarzer Hammer auf sie einschlagen. Was sie aber noch immer fühlte, war dieses Ziehen in ihrer Brust, wann immer sie an Lu See dachte.
    Und dann war da auch noch dieser Brief. Der Brief, den ihre leibliche Mutter an Lu See geschrieben hatte, an dem Tag, an dem sie auseinandergingen, an dem Tag, an dem sie mich verlassen hat, an dem sie mich vergessen hat wie ein Spielzeug in einem Sandkasten. Diesen Brief bewahrte sie in ihrer wasserdichten Kartentasche auf, geschützt vor Regen, Schlamm und Insekten. Lu See hatte gesagt, dass Sum Sum den Brief auf den Küchentisch gelegt hatte.
    Mabel las ihn nun wohl schon zum hundertsten Mal:
    Lu See, meine Schwester, meine Freundin,
    ich schreib dies Brief mitten in Nacht, während du noch schläfst. Wenn du aufwachst, werd ich fort sein. Bitte verstehe, dass dies schwerste Entscheidung ist, die ich jemals getroffen habe. Ich geh fort, Lu See. Götter haben mir gerufen, und es ist deshalb mein Schicksal, in das Zuhause von mein Vorfahren zurückkehren. Als ich nach Cambridge gekommen, ist mich etwas passiert, und ich habe erkannt, dass ich in mein Heimat, zu mein Mutter und zu mein Religion zurückkehren muss. Ich wünsche mich nur, ich könnte mit dich sprechen, aber ich weiß, dass du dann alles tun wirst, um mich aufhalten.
    Wenn Baby genau ein Monat alt ist, Lu See, musst du sein Nasenspitze mit Ruß vom Pfannenboden anmalen, um es vor eifersüchtige Geister zu schützen. Auch wenn Geruch von diese Baby anfangs nicht das ist, wonach du dir sehnst, und auch wenn Lächeln nicht Lächeln von dein eigen Babys, weiß ich, dass du Kleine lieben wirst. Seid gut einander. Ich glaube, dass du sie jetzt brauchst, und sie braucht dir.
    Ich weiß, wo Onkel Hängebacke rote ang-pow- Umschlag liegt. Ich werde nur so viel herausnehmen, damit ich Zugfahrt nach Felixstowe bezahlen kann. Ich nehme auch ein Ticket, um mit Schiff nach Penang zu fahren. Von dort ich finde bestimmt den Weg nach Tibet. Bitte, folge mich nicht und versuche nicht, mir davon abhalten. Dies ist Weg, mein Leben muss nehmen.
    Eines du musst noch für mir tun. Du musst Geburt von Baby eintragen zu lassen. Man hat mich gesagt, dass das in erste 42 Tage geschehen muss. Gib sie den Namen von Familie Teoh. Sie wird mit Stolz tragen.
    Ich habe so viel Milchpulver gekauft, dass für drei Monate reicht. Ich lasse dich auch blaue Notizheft voll mit Rezepten von Pietro und viele Töpfe von Rosmarin da. Es tut mir leid, dass ich dich nicht gesagt habe, dass ich weggehe. Aber ich weiß, dass du alles versucht würdest, mich aufhalten.
    Ich werde dir immer

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