Das Haus der tausend Blueten
du nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr auf die Straße gehen sollst. Dass du die Versammlungshalle der Tung Wah Association in der Klyne Steet meiden und dass du auf keinen Fall mit dem Wassermelonenverkäufer sprechen sollst, der alle Menschen als kommunistische Spione verdächtigt. Vielleicht habe ich dich damit direkt in die Arme der Banditen getrieben … Wenn man einem Kind das Rauchen verbietet, dann führt das doch auch nur dazu, dass es eines Tages aus reiner Neugier hinter der Pagode im Garten zur Zigarette greift.
Lu See stieß ein langes Seufzen aus.
Ich habe es nur gut gemeint. Aber Ratschläge sind auch Schläge …
Mabel hatte schon immer unabhängig sein und für sich selbst entscheiden wollen. Aber als ihr Lu See von Sum Sum erzählt hatte, hatte sie sich darüber hinaus auch rebellisch und unbesonnen gezeigt.
War ihr denn nicht bewusst, wie gefährlich es ist, sich den malaysischen Kommunisten anzuschließen? Man wird sie vor Gericht stellen, die ganze Familie! Wird man mich als Sympathisantin verurteilen, weil ich so eine Tochter aufgezogen habe?
Ein paar Jahre zuvor, noch bevor Mabel in den Dschungel gegangen war, hatte Lu See in der Kirche immer wieder einmal Mrs Kuok getroffen oder war Mrs Viswanath im indischen Gewürzladen begegnet. Eine der beiden hatte dann stets gesagt: »Ich habe Ihre Mabel schon wieder mit diesem MCVP -Jungen gesehen. Sie müssen sich ja so schämen!«
Aber Mabel war für ihre Mutter niemals ein Grund gewesen, sich zu schämen. Die Worte der Frauen hatten bei ihr vielmehr eine unbestimmte Angst und das Gefühl unausweichlichen Kummers ausgelöst.
Lu See rieb sich mit den Handflächen die Augen und warf dann einen Blick auf das zerknüllte Blatt Papier auf dem Boden. Sie hob es auf, nahm ein Streichholz und zündete es an. Mabel war jetzt seit über einem Jahr im Dschungel, und in all dieser Zeit war es Lu See nicht gelungen, auch nur einen einzigen Brief zu Ende zu schreiben. Was hatte es schon für einen Sinn, fragte sie sich jetzt. Es gab sowieso keine Adresse, an die sie ihn hätte schicken können.
7
Die riesige Schlange hatte Mabels herunterhängenden Arm wahrscheinlich für eine Art Nagetier gehalten. Nachdem sie ihn in den Würgegriff genommen hatte und er auf diese Weise langsam taub geworden war, hatte sie angefangen, ihr vermeintliches Opfer langsam zu verschlingen. Als Bong Mabel schreien hörte, hatte der Python seinen Irrtum bereits erkannt und versuchte, sein Abendessen wieder hervorzuwürgen.
»Töte sie!«, kreischte Mabel.
Ohne zu zögern, hieb Bong mit einem parang auf den Körper der Schlange ein, zog die Waffe über deren olivfarbene Haut und durchtrennte ihr Rückgrat. Das Tier hatte Mabels Arm mit seinen kräftigen Kiefermuskeln bereits wieder zur Hälfte ausgestoßen. Als die Männer die Schlange vorsichtig von ihrem Arm herunterzogen, stellte Mabel erschrocken fest, dass die Haut an ihren Fingerspitzen durch die Verdauungssäfte des Pythons bereits schrumpelig geworden war und sich aufzulösen begann. Den ganzen Arm hinauf zog sich die Spur der langen, nach hinten gebogenen Zähne, mit denen sich die Schlange beim Fressen in ihrem Fleisch festgebissen hatte. Der Schock saß so tief, dass Mabel sich hinlegen musste und einen guten Teil des Tages verschlief.
»Lasst sie schlafen«, sagte Bong zu seinen Männern. »Aber passt auf, dass sich der Arm nicht entzündet und sie Fieber bekommt. Das Maul einer Schlange ist voller Bakterien.«
Sie beobachteten sie den ganzen Vormittag, während die Schwüle der Nacht von der Sonne weggebrannt wurde. Unterdessen bereiteten einige von ihnen den Python für den Kochtopf vor. Sie trennten den Kopf ab und schnitten den Körper der Länge nach auf, um ihn auszunehmen. Dabei warfen sie immer wieder einen Blick auf Mabel, die im Schatten lag und schlief. Es dauerte nicht lange, und ihre Kleidung war vom Schweiß ganz dunkel geworden. Das war ein gutes Zeichen.
Als Mabel gegen Mittag erwachte, machte sie sich Gedanken wegen der offenen Wunden an ihrem Arm. Sie betastete immer wieder den Verband mit ihren Fingern, hoffte, dass das Merobromin und das antiseptische Puder ausreichten, um eine Infektion durch den Biss des Pythons zu verhindern. Als sie ihre rechte Hand schloss und öffnete, fiel ihr auf, dass die Haut an ihren Fingerspitzen weich war und einen merkwürdigen hellen Purpurton angenommen hatte. Glücklicherweise schien sie sich jedoch nicht entzündet zu haben.
Die Anspannung der letzten
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