Das Haus der tausend Blueten
mani- Räder in Bewegung.
»Wohin sollen wir gehen?«, fragte Lu See.
»Pietro sagte, wir sollten zu den privaten Hütten neben der Dharma-Anlage gehen. Ich denke, das könnte dort drüben sein.«
»Lieber Gott, ich hoffe, dass Sum Sum mich erkennt.«
»Wir wissen doch noch nicht einmal, ob sie überhaupt hier ist«, gab Mabel zu bedenken. »Du solltest dir besser keine allzu großen Hoffnungen machen.«
»Sie ist hier. Ich weiß, dass sie hier ist.«
Sie betraten einen kleinen Hof.
Vor ein paar Tagen hatte Pietro seine diplomatischen Beziehungen spielen lassen und mit dem für dieses Gebiet zuständigen Parlamentsmitglied telefoniert, woraufhin der Mann für Lu See ein Treffen mit der Gesangsmeisterin vereinbart hatte.
Mabel ging auf eine junge Nonne zu, die sich gerade um ein Blumenbeet kümmerte, und fragte sie, wo die Gesangsmeisterin zu finden sei.
Lu Sees Mund fühlte sich staubtrocken an. Sie musste Sum Sum unbedingt sehen. Sie umarmen, sie berühren. Sie sehnte sich so sehr danach, ihr Lachen zu hören. Erst dann würde die Anspannung von ihr abfallen.
Sie folgte ihrer Tochter einen Flur entlang, wie ein Kind seiner Mutter in blindem Vertrauen folgt.
Die Gesangsmeisterin, oder Umze, war eine lebhafte Frau namens Ven Sengdroma. Sie trug eine Nickelbrille und hielt ihre Hände in Gebetshaltung vor sich. »Namas-te.«
Ven Sengdroma begrüßte Lu See und Mabel mit einem warmen freundlichen Lächeln und legte ihnen weiße Schals um die Schultern. Der Duft von Jasmin und mattes Kerzenlicht erfüllten den Raum. Lu See konnte hören, wie irgendwo in der Ferne die Namen der Götter gesungen wurden.
»Man hat mir gesagt, dass Sie nach einer bestimmten Person suchen.«
»Ja«, sagte Lu See. »Ihr Name ist Sum Sum.«
Ven Sengdromas Stirn kräuselte sich. »Hier gibt es niemanden mit diesem Namen.«
»Aber es muss so sein.«
»Ist das ihr Dharma-Name?«
Lu See hatte nicht die geringste Ahnung, was Ven Sengdorma damit meinte.
»Wir haben hier jemanden mit dem Namen Sonam. Ein Mädchen, das gerade erst dreizehn Jahre alt geworden ist.«
»Nein. Ihr Name lautet Sum Sum, und sie ist fünfundvierzig Jahre alt.«
»Könnten Sie mir Näheres zu ihr sagen?«
»Sie ist ungefähr so groß wie Sie. Sie war im Ani-Trangkhung-Nonnenkloster in Lhasa. Bitte.« Lu See hörte, wie ihre Stimme brach. »Sie muss hier sein!«
Ven Sengdroma sah sie irritiert an. »Es tut mir sehr leid. Es sieht so aus, als hätten Sie die lange Reise umsonst auf sich genommen. Hier gibt es niemanden, auf den Ihre Beschreibung passt.«
»Sind Sie sich absolut sicher?«, fragte Lu See in flehentlichem Ton. Sie versuchte verzweifelt, nicht die Fassung zu verlieren.
Auf Ven Sengdromas Gesichtsausdruck lag plötzlich ein Schatten. Ihre Hände griffen unwillkürlich nach einem Strang Mala- Perlen. »Sie müssen wissen, dass viele unserer Schwestern die Reise hierher nicht überlebt haben. Einige wurden zur Umkehr gezwungen.«
Lu Sees Augen begannen vor Enttäuschung zu brennen.
Bitte, lieber Gott, tu mir das nicht an! Bitte sag, dass ihr nichts passiert ist!
Sie versuchte es ein letztes Mal. »Sie ist fünfundvierzig und hat einen boshaften Humor.«
Ven Sengdromas Daumen sprang von einer Perle zur nächsten. »Boshafter Humor, sagten Sie … das könnte Sengemo sein …«
Man hatte sie zu einem Raum geführt, der als allgemeines Empfangszimmer zu dienen schien.
»Es müsste gleich da vorn sein. Geh einfach durch diese Hintertür hier. Die erste Hütte rechts«, sagte Mabel.
Lu See hielt inne. Ihr war bewusst, wie nervös sie war – ihr Atem kam stoßweise, und das merkwürdige Pochen in ihrem Kopf war tatsächlich ihr Herzschlag.
So habe ich mich seit meinem Bewerbungsgespräch am Girton nicht mehr gefühlt. Entspann dich einfach, sagte sie sich.
Sie ging auf die Zehenspitzen und wippte leicht auf und ab.
»Ich werde hier warten. Ich denke, es ist wohl am besten, wenn du zuerst allein mit ihr sprichst«, sagte Mabel.
»Bist du dir sicher?«
Mabel nickte. »Absolut sicher.« Um sie herum brannten Kerzen aus Yakbutter. »Lass die Zeichenmappe hier. Du kannst mich holen, wenn ihr beide so weit seid.«
Die Strahlen der Nachmittagssonne fielen wie funkelnder Diamantstaub durch die Schlitze in den Fensterläden. Das Licht der Sonne lag auch auf Mabels Gesicht. Sie hatte auf einem Stuhl aus Shesham-Holz Platz genommen und spielte gedankenverloren an ihrem Verlobungsring herum, den sie seit Kurzem trug. Ihr Blick lag auf dem kleinen
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