Das Haus der tausend Blueten
sich bereits eine Gruppe von etwa fünfzig Studenten zusammengefunden. Einige von ihnen trugen sehr weite Hosen, andere Maßanzüge.
Jemand hatte eine rote Flagge aufgehängt, auf der Hammer und Sichel prangten. Adrian führte die beiden jungen Frauen zu einer Reihe von Stühlen. Sie setzten sich, um der Diskussion zu folgen.
»Was geht hier eigentlich vor?«, fragte Lu See.
»Jeder in diesem Raum hat sich dem Kampf gegen den Faschismus verschrieben. Wir haben hier Bohemiens, Sozialisten und Kommunisten, und das quer durch alle Schichten der Gesellschaft. Es ist neuerdings ziemlich schick, ein bisschen Kommunist zu sein.«
Ein junger Mann schlug mit einem kleinen Hammer auf einen Tisch im Saal und rief so zur Ordnung.
»Marx und Engels«, begann er, »legen überzeugend dar, dass jeder an den Vorteilen der Industrialisierung teilhaben kann. Der Sozialismus ist liberal. Durch den Sozialismus wird mehr Menschen ein Mitspracherecht bei dem, was unser Land betrifft, eingeräumt. Aber dieses Ideal ist einer stetig wachsenden Bedrohung ausgesetzt. In Deutschland und Italien sind Diktatoren an der Macht, und in Spanien wächst das Risiko eines faschistischen Aufstandes von Tag zu Tag. Wir müssen handeln! Und zwar sofort!«
Ein anderer junger Mann erhob sich jetzt von seinem Platz. »Das ist ja alles schön und gut, aber zuerst müssen wir dem Marsch der Faschisten auf Großbritannien Einhalt gebieten.«
Adrian beugte sich zu Lu See und Sum Sum hinüber und erklärte: »Hier in England kommt es im Augenblick gerade zu einer extremen politischen Polarisierung. Oswald Mosley und seine Anhänger repräsentieren dabei den rechten Flügel des Spektrums, während Willie Gallacher, der der schottischen kommunistischen Partei im Parlament angehört, für den linken steht.«
Der junge Mann fuhr fort: »Aus diesem Grund fordern wir Premierminister Stanley Baldwin auf, den Public Order Act unverzüglich zu verabschieden!«
»Hört, hört!«, schallte es durch den Raum.
»Der Public Order Act verbietet das Tragen von politischen Uniformen und Symbolen in der Öffentlichkeit. Dies wird unserer Meinung nach entscheidend dazu beitragen, Mosleys Schwarzhemden von Londons Straßen fernzuhalten.«
»Wer sind denn diese Schwarzhemden?«, fragte Lu See.
»Mosleys nazifreundliche Faschisten«, erwiderte Adrian. »Ein Haufen von Schlägern und Unruhestiftern.«
Man ließ ein Blatt Papier herumgehen, das alle Anwesenden unterschreiben sollten.
Lu See sah Adrian an. Seit er Malaysia verlassen hatte, waren seine Einstellungen offensichtlich radikaler geworden. Ihr war schon früher bewusst gewesen, dass er dem Sozialismus nahestand, für einen Kommunisten hatte sie ihn allerdings nicht gehalten. Sie wusste, dass er den Faschismus und alles, wofür dieser stand, zutiefst verabscheute. Aber was bedeutete es sonst noch, Kommunist zu sein? Vielleicht war er der Überzeugung, dass alle in gleicher Weise am Eigentum beteiligt werden sollten. Sie dachte an die stattliche Summe, die Zweite Tante Doris ihr hatte zukommen lassen, um eine neue Orgel zu kaufen, und bekam plötzlich ein schlechtes Gewissen. Man stelle sich nur vor, wie viele bedürftige Familien man damit hätte unterstützen können, überlegte sie.
Aber war es nicht auch so, dass die Kommunisten jede Form von Religion ablehnten? Und waren sie nicht auch Anti-Imperialisten? Wenn dies der Fall war, dann bedeutete das auch, dass Adrian befürwortete, gegen die Briten im fernen Osten zu kämpfen. Wollte er ein unabhängiges Malaysia?
»Hoffst du darauf, dass es zu Hause eine Revolution gibt?«, flüsterte sie ihm herausfordernd zu.
»Ich habe es jedenfalls satt mitanzusehen, wie auf unserem Volk herumgetrampelt wird.«
»Was ist, wenn wir für die Autonomie noch gar nicht reif sind?«
»Marx sagte einmal, dass die Revolution die Hebamme ist, die dafür sorgt, dass eine neue Gesellschaft geboren werden kann«, erwiderte er.
Sie starrte ihn fassungslos an.
»Dieser großartige Mann sagte auch, dass der Kommunismus das aufgelöste Rätsel der Geschichte sei und er sich als diese Lösung verstehe.«
»Denk nicht einmal darüber nach, mich überzeugen zu wollen!«
Sie wandte sich von ihm ab, dann sah sie ihn wieder an. Er nickte jetzt dem Sprecher zu, so wie die Ehefrau eines Präsidentschaftskandidaten bei jedem Argument, das ihr Mann vorträgt, ihre Zustimmung äußert. Studierte Adrian etwa nur deshalb in Cambridge, weil er sich politisch engagieren wollte? War dies der wahre
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