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Das Haus der tausend Blueten

Das Haus der tausend Blueten

Titel: Das Haus der tausend Blueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Lees
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sparen. Ich vertraue auf die Religion. Ich vertraue auf den Kapitalismus!«
    Lu See spürte, wie die Luft im Taxi sofort zu knistern anfing, so wie immer, wenn sie und Adrian über Politik debattierten. Sie versteifte sich, weil sie wusste, was als Nächstes kommen würde.
    »Und was ist mit dem Faschismus?«, fuhr er fort. »Und mit dem Imperialismus? Vertraust du auf den auch? Wünschst du dir denn kein freies Malaysia?«
    »Ja, schon, aber erst, wenn das Land reif dafür ist.«
    »Und wer entscheidet, wann wir reif sind? Die Kolonialherren oder das Volk von Malaysia?«
    Lu See wurde langsam ärgerlich. »Was soll das ganze Theater eigentlich? Versuchst du, mich zu bekehren oder, schlimmer noch, mich zu radikalisieren?«
    »Nein, ich möchte nur, dass du die Welt so siehst, wie sie wirklich ist! Ich glaube nicht, dass du Angst vor Veränderungen haben solltest. Habe ich dir nicht beigebracht, dich deinen Ängsten zu stellen?«
    »Wie kannst du mir vorwerfen, ich würde Veränderungen fürchten? Ich habe meine Familie verlassen! Ich bin in England, das ist wohl Beweis genug, dass ich mich meinen Ängsten stelle, oder etwa nicht?«
    »Ich meinte politische Veränderungen.«
    Lu See schüttelte den Kopf und wandte sich Sum Sum zu. Diese zog eine Augenbraue hoch und tat weiterhin so, als würde sie in ihrer Modern Screen lesen.
    Im Zoo besuchten sie das Reptilienhaus, das Aquarium und das Affengehege, wo Pietro lautstark einen männlichen Affen schalt, weil dieser ungeniert masturbierte. Auf der künstlich angelegten Felsenlandschaft der Mappin Terraces sahen sie Eisbären und Schneeleoparden. Sie durften sogar die Pinguine füttern. Ein leichter Nieselregen fiel, der den Pinguinen offensichtlich weit mehr behagte als den Zoobesuchern. Adrian hatte seinen Homburg tief ins Gesicht gezogen.
    Nach ihrem Besuch im Zoo aßen sie in einem Restaurant in Marylebone zu Mittag. Eine Kellnerin mit einem weißen Häubchen mit gekräuselten Rändern auf dem Kopf und einer raschelnden Uniform aus schwarzem Satin servierte ihnen Lammkoteletts mit Kartoffeln. Sie ließen es sich schmecken, nur Sum Sum stocherte lustlos in ihrem Essen herum.
    »Fühlst du dich nicht wohl, Kürbiskopf?«, fragte Lu See.
    Sum Sum zuckte mit den Schultern. »Ich okay, lah .«
    »Du lässt noch Platz für das Essen heute Abend«, kommentierte Pietro den Wortwechsel der beiden anerkennend. »Kluges Mädchen.« Er schnippte die Asche seiner Zigarette, die in einer schlanken Zigarettenspitze steckte, in einen Stand aschenbecher aus Messing. »Natürlich wird es ein Vier-Gänge-Menü geben. Drei Gänge sind so schrecklich gewöhnlich.«
    Lu See fiel auf, wie modisch die Damen in London gekleidet waren. Die Frauen schmückten sich mit langen Perlenketten, trugen ihr Haar kurz mit Wasserwellen oder in weichen Locken. Einige hatten glockenförmige Cloche-Hüte auf dem Kopf, andere Turbane aus Samt, die schräg auf den Scheiteln saßen. Ihre Kleider zeigten, verglichen mit jenen, die die Frauen in Cambridge trugen, wesentlich mehr Eleganz, waren passgenauer und hatten breitere Schultern.
    Nach dem Mittagessen gaben sie dem Garderobenfräulein ein Trinkgeld, dann nahmen sie ein Taxi zum Museum für Naturgeschichte. Als sie die Marylebone Road entlangfuhren, stand eine lange Schlage von Männern mit übergroßen, flachen Mützen vor Grimble’s Vinegar Factory, um dort nach Arbeit zu fragen. Pietro und die Mädchen bemühten sich, die Männer nicht taktlos anzustarren. In der Edgeware Road sahen sie immer wieder Menschen, die ihre Wohnungen hatten räumen müssen und deren Möbel nun am Straßenrand standen. Ein kleines Stück weiter kickten Kinder mit schmutzigen Knien einen Ball aus zusammengerollten Zeitungen zwischen maroden Ziegelmauern hin und her. Die Mauern waren mit Plakaten der Kommunistischen Partei, antisemitischen Sprüchen und Anschlagzetteln beklebt, die für Fry’s Pure Breakfast Cocoa (4 ½ Pence pro ¼ Pfund) warben.
    Sie verbrachten vier Stunden im Museum. Am frühen Abend hielten sie ein weiteres Taxi an. Der Taxifahrer kurbelte sein Fenster herunter, als sie auf den Wagen zugingen: »Wohin soll’s geh’n?«
    »Zur King’s Cross Station, bitte«, antwortete Adrian.
    »Das soll wohl’n Witz sein! Wissen Sie denn nich, dass da ’ne verdammte Kundgebung is? Fast die ganze Euston und die Hälfte der Straßen nordöstlich vom Hyde Park sind gesperrt.«
    »Was für eine Kundgebung?«
    »Ne Demonstration gegen die Massenarbeitslosigkeit. Aber da

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