Das Haus der tausend Blueten
auf Knorpel traf. Die Nase des Mannes platzte auf, und Blut spritzte wie aus einer Wasserpistole in hohem Bogen auf die Straße.
In diesem Moment vernahm Adrian einen klaren, hellen Ton. Vom anderen Ende der Straße kam, die Trillerpfeife noch zwischen den Lippen, ein Polizist auf sie zugerannt. Er musste beim Rennen mit einer Hand seinen Helm festhalten, damit er ihm nicht vom Kopf fiel.
Fünfzig Meter hinter ihnen hielt ein Lastwagen. Adrian lief auf Lu See und Sum Sum zu, packte sie an den Armen, als mehrere Schwarzhemden von der Ladefläche des Lastwagens sprangen. Noch mehr Polizisten trafen am Ort des Geschehens ein. Ein infernalischer Lärm erhob sich, als die beiden Gruppen aufeinandertrafen.
Nur wenige Sekunden später stieß Adrian die Mädchen und Pietro in das Taxi, hechtete ihnen hinterher auf den Rücksitz und zog mit lautem Knall die Tür zu.
»Los, los, los!«, schrie er.
Das Taxi raste davon und ließ den Bobby mit seiner Trillerpfeife zurück.
»Mann, diesen letzten Kerl haben Sie aber nach Strich und Faden verdroschen, Mister. Ich wette, man hat noch drüben in Timbuktu gehört, wie seine Nase gebrochen is.«
»Ist mit dir alles in Ordnung?«, fragte Lu See.
»Du bist ja so unglaublich tapfer, Adie!«, stöhnte Pietro.
»Wah! Du genau wie Gary Cooper! Bum, bum, bum!«
Adrian sagte kein Wort. Er rieb sich die rechte Hand, wo rote Flecken seine Knöchel bedeckten. Er atmete stoßweise. Das Blut rauschte durch seinen Schädel. Er war benommen, seine Finger zuckten – es war dasselbe Gefühl wie damals, im letzten August, als er auf dem Turm des Trinity fast den Halt verloren hätte. Als er jetzt an sich hinuntersah, hämmerte sein Herz so heftig, dass der zerrissene Stoff seines blutbespritzten Hemdes vibrierte.
»Alles in Ordnung mit dir?«, erkundigte sich Lu See noch einmal besorgt.
»Mir geht es gut. Hat sich der alte Mann in Sicherheit bringen können?«
»Ja.«
»Gut«, sagte er lächelnd und zog einen Kamm aus seiner Hosentasche.
»Wo …« Lu Sees Stimme zitterte. »Wo hast du gelernt, so zu …«
Seine Kehle war trocken wie Stroh und machte ihm zu schaffen. »Kung-Fu-Training an der Chung Ling Highschool, als ich ein bisschen jünger war«, meinte er achselzuckend.
»Du hättest sterben können!«
»Und ich hätte meinen Schiaparelli-Hut verlieren können«, rief Pietro.
»Ich wollte einfach nur verhindern, dass dieser Mann getötet wird, Goosey«, entgegnete Adrian mit ruhiger Stimme. »Aber wie dem auch sei. Diese Faschisten verdienen es nicht besser.«
»Du hast mir eine Heidenangst eingejagt.«
Adrian berührte vorsichtig den Riss in seiner Unterlippe. »Oh, verdammt! Ich habe meinen Mantel vergessen. Ich liebe diesen Mantel. Glaubst du, wir können umkehren und ihn holen?«
Lu See kniff ihn fest in den Oberschenkel.
Adrian grinste und begann dann in aller Ruhe, seine von Blut verklebten Haare zu kämmen.
»Ach je, ach herrjemine. Ich bin völlig fertig.« Pietro fuhr sich mit der Hand theatralisch über die Augen. »Seid ihr mir böse, wenn ich unser Essen heute Abend absage? Ich komme vor Erschöpfung fast um!« Er lehnte sich ermattet zurück. »Das war einfach zu viel.«
8
Mitte April, zwei Wochen nach ihrer Ankunft in Großbritannien, als der Frühling den Winter endgültig vertrieben hatte und Lu See endlich nicht mehr ständig fror, warf der Postbote einen Umschlag durch den Briefschlitz. Lu See machte gerade einen Kopfstand und knabberte dabei an einem Keks, während Sum Sum die Post vom Boden aufhob.
»Für dich, lah .«
Lu Sees Herz hüpfte vor Freude, als sie die Briefmarke sah. »Ein Brief aus Malaysia!«
Sie riss den Umschlag auf und setzte sich in einen der mit Wildleder bezogenen Sessel. Die Handschrift erkannte sie sofort. Der Brief kam von ihrer Mutter. Sie hatte sie, wie sie schrieb, dadurch ausfindig gemacht, dass sie sich mit der Zulassungsstelle von Girton in Verbindung gesetzt hatte:
Ich hatte gehofft, dass niemand erfahren würde, was wirklich geschehen ist. Dass wir sagen könnten, du seist einfach nur zum Studium ins Ausland gegangen. Aber es sollte nicht sein.
Die Chows haben die Wahrheit herausgefunden und sind fuchsteufelswild. Ihr Sohn erzählt jedem, der es hören will, du wärst eine Hure. Der Schaden, den du unserem Ansehen zugefügt hast, ist immens. Dein Ah-Ba regt sich natürlich am meisten auf. Dein hinterhältiger Vertrauensbruch schmerzt ihn genauso sehr wie das unvermeidliche Gerede und Getratsche unserer Nachbarn und
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