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Das Haus der verlorenen Herzen

Das Haus der verlorenen Herzen

Titel: Das Haus der verlorenen Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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geschlafen!« Sie legte die kleinen Hände aneinander und hob sie ihm flehend entgegen. Es sah rührend aus, sogar für einen hartgesottenen Chirurgen wie Volkmar. »Sie werden mich verachten und prügeln, und Sie wird man wegjagen, Enrico. Man wird uns nie glauben, daß wir nicht …«
    Sie schwieg, biß in den Ballen ihrer rechten Hand und schien sehr verzweifelt.
    Auch wenn es übertrieben ist, sie hat recht, dachte Volkmar. Der Ehrenkodex der Sarden war bekannt. Ein unbescholtenes junges Mädchen, das am frühen Morgen mit einem Mann nach Hause kommt, ist verdächtig. Vor allem, wenn dieses Mädchen nackt unter seinen Kleidern ist. Es wäre denkbar, daß man dann nicht mehr zu langen Erklärungen kommt.
    »Wir fahren!« sagte er. »Ich ziehe mir nur etwas anderes an.« Er blieb am Zelteingang stehen und blickte über das Mädchen hinweg zu dem schwarzgewellten Meer. Der Sternenhimmel war phantastisch. »Was ist, wenn die beiden Burschen uns auflauern?«
    »Sie sind weggefahren. Ich habe ihren Motor gehört.«
    »Und warum sind sie Ihnen nicht nachgefahren?«
    »Ich habe gebissen und gekratzt …«
    Er sah Anna an und blickte ihr genau in den Schoß. Sie merkte es und legte die Hände wie schützend über ihren Unterleib.
    »Daß sie das gehindert haben soll …«, sagte Volkmar zweifelnd. »Also gut. In zehn Minuten fahren wir.«
    Er nahm die Stablampe vom Tisch, hüllte Anna wieder in Dunkelheit und ging ins Zelt, um sich anzuziehen. Er überzeugte sich, daß er seine Autopapiere bei sich hatte; die grüne Versicherungskarte lag im Autoatlas. Unschlüssig blieb er stehen und zog die Unterlippe durch die Zähne.
    Nehmen wir an, die beiden Burschen liegen noch irgendwo auf der Lauer. Sie ahnen, daß Anna in meinem Wagen sitzt – denn wer sonst sollte um diese Zeit von der Küste ins Innere des Landes fahren? – Sie halten mich an und verlangen die Herausgabe Annas. Natürlich lehne ich das ab! Und dann? Ich habe als Student geboxt, aber ich bin nicht das, was man einen durchtrainierten Sportsmann nennen könnte. Meine Hände sind so feinfühlig, daß sie imstande sind, Gefäßnähte zu setzen, aber sie sind nicht geschaffen, auf Schädel einzuschlagen. Es wäre ein ungleicher Kampf, der schon verloren wäre, bevor er überhaupt angefangen hat.
    Er kämmte sich mit zwei Strichen das Haar und trat wieder hinaus auf die Veranda. Anna hockte noch immer auf dem Klappstuhl. Sie lächelte, als er ihr ins Gesicht leuchtete.
    »Sie haben bestimmt Messer bei sich«, sagte er.
    »Ich?«
    »Die beiden Kerle.«
    »Hier hat jeder Bauer ein Messer bei sich.«
    »Sage ich doch!« Volkmar sah keine Möglichkeit mehr, die Dinge noch zu ändern. Anna war ins Freie getreten … Die Silhouette ihres schönen Körpers hob sich wie ein Scherenschnitt gegen den Sternenhimmel ab. So rutscht man ungewollt und hilflos in Abenteuer, dachte Volkmar. Man flüchtet in die urwüchsige Natur, und plötzlich erwacht man im Krankenhaus mit zerbrochenem Kiefer. Wie schön muß die Welt ohne Menschen gewesen sein.
    Wenn er später in München dem Dr. Herbert Steinhaus, dem 1. Oberarzt der Unfallklinik, dieses Erlebnis erzählen würde, so wäre dessen Reaktion vorauszusehen. »So ein Rindvieh!« würde Dr. Steinhaus rufen. »Schneit ihm da kurz nach Mitternacht ein Mädchen halb nackt ins Zelt, und was macht er? Er bringt sie nach Hause! Junge, du hast doch eine Riesenmacke! Nichts wie 'rauf auf die Matratze! – das hätte Anna imponiert! Ich schwöre dir: Das ist das letzte Mal, daß wir dich allein in Urlaub lassen!«
    »Kommen Sie, Anna!« sagte Volkmar und trat neben sie vor das Zelt. Er legte seinen Arm um ihre Hüfte, und sie schüttelte ihn nicht ab, was ihn beruhigte und leichtsinniger werden ließ.
    Volkmars Wagen stand etwa vierzig Meter landeinwärts auf festem Boden. Dort, wo er sein Zelt aufgeschlagen hatte, im unmittelbaren Kontakt mit dem Meer und dem Wind, konnte kein Auto hinfahren. Es wäre im Sand versunken bis zu den Achsen. Jenseits des Sandes aber begann guter, fester Felsboden, hier standen Gruppen von verkrüppelten Palmen und Ölbäumen, breitkronigen Pinien und bizarren Zedern, alle vom Wind im Laufe der Jahrzehnte gebogen und mit Büschen verfilzt. Natur im Urzustand, bis eine Baugesellschaft entdecken würde, daß man an dieser Bucht ein Hotel oder ein Bungalowdorf hinsetzen könnte.
    »Leben Ihre Eltern noch, Anna?« fragte Volkmar. Sie gingen durch den weichen Sand wie über einen schwingenden Teppich und taten das,

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