Das Haus des Buecherdiebs
wohlfeilen Bandes, erhöhte er ihn vorsichtshalber bis an die Grenze des Unerschwinglichen. Die seltenen Ausgaben erwarb er lieber für sich selbst. Und so besuchte er so gut wie jede Buchauktion in der Stadt und näheren Umgebung, um sich auch nicht die geringste Kostbarkeit entgehen zu lassen. Sein Herz hing besonders an jenen Ausgaben, die nur noch in einem Exemplar erhalten waren, ihr Inhalt interessierte ihn weniger, er war ihm oft sogar gleichgültig. Als das letzte noch |38| existierende Exemplar eines Bandes mit kirchlichen Edikten aus dem Jahr 1482 – »Furs e Ordinacions fetes par los gloriosos reys de Aragon als regnicols del regne de Valencia« aus der Werkstatt des ersten spanischen Druckers, Lambert Palmart – versteigert werden sollte, eilte er mit fiebrig glänzenden Augen zum Auktionssaal, um sich das unersetzliche Stück zu sichern. Doch auch Don Vincentes ärgster Konkurrent, der Buchhändler Augustino Patxot, hatte ein Auge auf das seltene Werk geworfen und war entschlossen, es an sich zu bringen – und sei es, um dem verhassten Rivalen eins auszuwischen. Dieser rechnete in seinem selbstgefälligen Wahn nicht wirklich mit Widerstand und war sich seiner Sache allzu sicher. Zunächst lief alles nach Plan: Patxot erreichte schon bald die Grenze seines Budgets, und einen Augenblick schien es, als würde der Mönch obsiegen. Doch sein Gegner fand Verbündete unter den Antiquaren im Saal, denen das selbstherrliche und anmaßende Verhalten Don Vincentes missfiel und die bereit waren, Patxot finanziell zu unterstützen. So wurde Don Vincente schließlich überboten. Gramgebeugt und ohne seinen heißbegehrten Schatz musste er heimkehren.
Drei Tage später ging Patxots Buchhandlung in Flammen auf. Man hielt das Feuer für ein Unglück. Zunächst – denn in den folgenden Tagen fielen in und um Barcelona neun bedeutende Bücherfreunde, Sammler und Literaten, die allesamt Patxots Kunden gewesen waren, einem heimtückischen Mörder zum Opfer. Da jeder in der Stadt von der Feindschaft zwischen Don Vincente |39| und Patxot wusste, zögerte man nicht lang und durchsuchte das Antiquariat des Mönchs. Stolz führte dieser den Untersuchungsrichter durch seine ansehnliche Sammlung. Der Beamte bewunderte die pedantische Ordnung in den vollgestopften Regalen, die er für das sichere Indiz eines ebenso geordneten Verstandes hielt. Zwar gab es hier kein natürliches Licht, da die Fenster hinter den Bücherwänden verborgen waren, aber wenigstens war es nicht so staubig und schmutzig wie bei den anderen Trödlern. Als er neugierig einen Schmöker mit dem schönen Titel »Die Mühen und Leiden des Persiles und der Sigismunda« aus dem Regal mit den Werken katalanischer Poeten herausnahm, wo er seines Wissens eigentlich gar nicht hingehörte, öffnete sich plötzlich zwischen den ausgestellten Büchern ein raffiniert getarntes Geheimfach. Der verblüffte Richter entdeckte darin nicht nur den seltenen Band mit den kirchlichen Edikten, der eigentlich mit Patxots Laden verbrannt sein musste, sondern zahlreiche weitere Raritäten aus den Sammlungen der Mordopfer.
Don Vincente wurde angeklagt und vor Gericht gestellt, doch er leugnete alles und beteuerte seine Unschuld. Er hatte keine Freunde, die für ihn hätten sprechen können, aber es gab auch keine Zeugen der Verbrechen, die man ihm zur Last legte – nur Indizien. Patxots Kollegen beschrieben in deutlichen Worten den Hass und die Gier Don Vincentes, sie erzählten von der offenen Feindschaft der beiden Buchhändler und von der eigenartigen Besessenheit des Mönchs, der nur minderwertige Bücher verkaufte, die Perlen aber stets für |40| sich behielt. Dann hörte man den Inspektor, der das Geheimfach entdeckt hatte. Don Vincente erbleichte, wollte sich aber nicht dazu äußern. Er zuckte die Achseln, als ob die Bücher der Ermordeten rein zufällig in sein Versteck gelangt wären. Erst nachdem der Richter ihm zugesichert hatte, dass seine Bibliothek auch nach seiner Verurteilung erhalten bleiben würde, begann er zu reden und gestand seine Untaten ohne Reue. Er habe jedem seiner Opfer die Absolution erteilt und doch nur versucht, einzigartige, kostbare Werke vor ihren unwürdigen und nachlässigen Besitzern zu retten: »Jeder Mensch muss früher oder später sterben«, sagte er, »aber gute Bücher müssen bewahrt werden!«
Mit der Hinrichtung Don Vincentes im Jahr 1836 ist die erstaunliche Geschichte noch nicht zu Ende. Ein junger Franzose namens Gustave Flaubert,
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