Das Haus des Buecherdiebs
eigentlich noch ein Schuljunge, erfuhr aus der Zeitung von den Verbrechen des wahnsinnigen Mönchs, der als »Unge heuer von Barcelona« für Schlagzeilen sorgte. Der sonderbare Kriminalfall diente als Vorlage für die kleine Erzählung »Bücherwahn«, die erst nach dem Tod des berühmten Autors entdeckt und 1910 veröffentlicht wurde. In dieser frühen Stilübung des fünfzehnjährigen Flaubert wird aus dem gefallenen Mönch und gewissenlosen Mörder das Urbild des Bibliomanen, dessen Bücherwahn keine Grenzen kennt und beinahe erotische Züge annimmt: »Er liebte das Buch um des Buches willen, er liebte den Geruch, das Format, den Titel. Ihn fesselten an einer Handschrift die alte, kaum lesbare Jahreszahl, die fremdartigen Verzierungen gotischer Lettern, |41| die schwer vergoldeten Initialen; mit Wonne zog er den betörenden Duft des Staubes ein, der die Seiten bedeckte; ihn begeisterte das Wort ›finis‹, umwunden von Bandschleifen, umgeben von zwei Amoretten, gelehnt an eine Quelle; oder gemeißelt auf einen Grabstein oder ruhend in einem Rosenkorb mit goldenen Früchten und blauen Blumen.«
Flaubert fügte der wahren Geschichte eine neue Pointe hinzu. Sein wahnsinniger Büchernarr, der Mönch Giacomo, will während der Auktion das letzte Exemplar des ersten in Spanien gedruckten Buches ersteigern und ermordet seinen Rivalen, um es an sich zu bringen. Während der Gerichtsverhandlung präsentiert sein Verteidiger zur Überraschung aller jedoch ein zweites Exemplar jenes Buches, um die Unschuld seines Mandanten zu beweisen und ihn vor dem Todesurteil zu bewahren. Giacomo verliert beim Anblick des Buches endgültig den Verstand. Er nimmt es in die Hand, umarmt es zärtlich, schlägt es behutsam auf, lässt auf die Seiten ein paar Tränen fallen, und dann reißt er es wütend in Stücke. »Sie haben gelogen, Herr Advokat! Ich habe es ja gesagt: es gibt nur ein Exemplar in Spanien!«
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|42| Die Büchermorde von Leipzig
Der Umgang mit Büchern bringt die Menschen um den Verstand.
Erasmus von Rotterdam
»Gute Bücher müssen bewahrt werden!« – So lautete das Credo des mörderischen Don Vincente, mit dem er seine schrecklichen Taten rechtfertigen wollte. Ein selbstloses Motiv, dem derjenige nicht widersprechen mag, der selbst von einer tiefen Zuneigung für Druckerzeugnisse aller Art ergriffen ist. Wenn aber aus Liebe Besessenheit wird, geht es nicht mehr darum, etwas zu bewahren, sondern vielmehr um das unwiderstehliche Bedürfnis, etwas zu besitzen – um jeden Preis! Dies beweist ein rätselhafter Fall, der bis heute Kriminalisten, Historiker und Büchernarren gleichermaßen beschäftigt.
Am Morgen des 28. Januar 1812 fand eine Hausmagd den alten Leipziger Kaufmann Friedrich Wilhelm Schmidt bewusstlos und blutüberströmt in seiner Wohnung in der Grimmaischen Gasse, gegenüber dem Naschmarkt. Als er wieder zu sich kam, berichtete er von einer geschäftlichen Verabredung mit einem Fremden aus Hamburg, der Wertpapiere bei ihm erwerben wollte. Er habe dem Mann einige Obligationen der Stadt Leipzig gezeigt und könne sich nur noch erinnern, eine Prise Schnupftabak von ihm angenommen zu haben. Dann |43| habe ihn ein schwerer Gegenstand am Kopf getroffen und die Welt in Dunkelheit getaucht.
Die polizeiliche Untersuchung ergab, dass sich der Unbekannte mit Obligationen im Wert von 3000 Talern aus dem Staub gemacht und diese noch am selben Tag in einem nahen Bankhaus in der Katharinenstraße gegen Bargeld eingewechselt hatte. Der Bankangestellte konnte eine brauchbare Beschreibung des mutmaßlichen Täters liefern: ein etwa vierzig Jahre alter Mann mittlerer Größe, mit glattem schwarzem Haar, großer Nase, in der schlichten Tracht eines Landpfarrers. Er habe ungefähr eine halbe Stunde seelenruhig in der Bank gewartet und sich noch eine Quittung über den erhaltenen Betrag ausstellen lassen. Das Opfer, das durch die heftigen Schläge auf den Kopf schwer verletzt worden war, lebte noch einige Wochen und starb am 6. April 1812. Aus dem dreisten Raubüberfall wurde Mord, doch vom Mörder fehlte jede Spur. Die Polizei legte den unlösbaren Fall zu den Akten.
Ein Jahr darauf, am 8. Februar 1813, kam es in Leipzig abermals zu einer Bluttat. Das Verbrechen ähnelte dem Überfall auf den alten Kaufmann verdächtig, was anfangs allerdings niemandem auffiel. Ein Fremder hatte bei der 75-jährigen Witwe Christiane Kunhardt vorgesprochen und ihr einen Brief mit der Bitte überbracht, ihm 1000 Taler zu leihen.
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