Das Haus des Buecherdiebs
edelmütigen Zwecken, zuweilen führt sie aber auch auf Abwege. Ihr Ursprung kann ebenso in kenntnisreicher Bewunderung wie in schlichter Habgier liegen, sie kann sich zur Liebhaberei entwickeln, aber auch zur zwanghaften Manie. Sie kann sich gleichermaßen als gefährlich und hilfreich erweisen. So sind sich die wenigsten Bücherdiebe bewusst, dass sie Gesetze brechen und gegen Regeln verstoßen. Viele halten ihr Tun für nützlich und notwendig, was es in einigen Fällen auch war. Denn ohne den maßlosen Hunger nach Büchern wären viele, darunter sogar einige der wichtigsten Werke der Antike, das Wissen und die Poesie der Alten Welt, längst verloren, und es ist nicht zuletzt einem namhaften Bibliomanen und seinen Streifzügen durch heruntergekommene Klosterbibliotheken zu verdanken, dass wir heute noch Ovid, Martial und Tacitus lesen können.
Es geht also nicht immer nur um den wertvollen Besitz und um das Zusammenraffen unvorstellbar kostbarer Schätze, sondern oft genug um das eifrige, durchaus uneigennützige Sammeln, Behüten und Retten von Ideen, Gedanken und Träumen. Selbst einer der verrücktesten und kaltblütigsten Bücherdiebe kam am Ende seines tragischen Lebens zu dem sinnreichen Schluss: »Jeder Mensch muss früher oder später sterben, aber gute Bücher müssen bewahrt werden!« Diese Einsicht könnte das Motto all der Geschichten sein, die ich in diesem Buch erzählen möchte: »Gute Bücher müssen bewahrt werden!« – dieser Satz ist das edle Credo der |13| Bibliophilie, aber auch das geheime Losungswort ihrer fanatischen Schwester, der Bibliomanie.
Das Bewahren ehrwürdiger Texte ist jedoch keineswegs der einzige und stärkste Trieb des wahren Bücherfreunds – sonst gäbe es heutzutage, wo jeder ganze Bibliotheken auf bleistiftstummelgroßen Datenspeichern in der Westentasche unterbringen kann, wohl keine dieser merkwürdigen Gesellen mehr. Oft ist es einfach das Glück, einen seltenen Band nach langer Suche und endlosen Wanderungen durch staubige Leseräume und zwielichtige Antiquariate endlich in Händen zu halten, den Geruch der Druckerschwärze und des alten Papiers einzuatmen, mit den Fingerspitzen über raues Pergament und feines Leinen zu streichen, das zu immer neuen bibliophilen Abenteuern treibt. Der besondere Reiz der Seltenheit kann aber durchaus auch vom Inhalt eines Buches ausgehen. »Seltene Bücher« werden im Chinesischen
shanben
genannt. Doch bedeutete der Begriff »selten« hier nicht ungewöhnlich wertvolle, prächtig ausgestattete Drucke, sondern Bücher von seltener inhaltlicher Qualität und erlesene Werke, die sich durch besonderen Feinsinn und Genauigkeit von durchschnittlichen Produktionen abheben.
Welche Autoren und Werke den eingangs erwähnten Bücherdieb besonders reizten und ob er trotz seiner unbändigen Sammelwut die chinesische Vorstellung von »Seltenheit« teilte, ist nicht bekannt, doch wenn ich ein Haus hätte, um es mit meinen liebsten Büchern zu füllen, könnte ich meine Auswahl nie auf einen kleinen Themenkreis begrenzen. Meine Vorliebe gilt aber auch |14| nicht den teuren Erstausgaben berühmter Autoren, den kostbaren Handschriften des Mittelalters oder den seltenen Drucken der Neuzeit. Mich interessiert das Vergessene, Erfolglose, Ungeliebte, das vom Kanon Ignorierte und vom Zeitgeschmack Beiseitegeschobene. Wie der römische Rhetoriker Seneca sammle ich insbesondere jene Werke, die von anderen missachtet werden und deswegen umso kostbarer sind. Jene Bücher, die zuweilen in Ramschkartons vergilben und auf Dachböden verstauben. Ihnen würde ich ein neues Heim, einen angemessenen Platz in den Regalen eines schönen alten Hauses geben, wo sie geduldig auf neugierige Leser warten könnten. Nicht aus Besessenheit, sondern aus Liebe, Fürsorge und Respekt, denn Bücher sind, nach den schwärmerischen Worten des englischen Dichters Richard le Gallienne, Liebesbriefe zwischen Menschen, die sich nie begegnen, Zaubermuscheln, die mit den Geheimnissen des ozeanischen Lebens gefüllt sind, Obstgärten des Wissens und Honigwaben der Träume.
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|15| Das Buch der Geheimnisse
Bücher sind Schiffe, die uns sicher über den weiten Ozean in das Herz der Heiligen Städte tragen.
Ralph Waldo Emerson
Wer Bücher liebt, kennt vermutlich die fiebrige Sehnsucht nach diesem einen, ganz besonderen Buch, das irgendwo als geheimnisvoller Titel in Bibliographien und Fußnoten auftaucht und sofort die fast schmerzhafte Begierde weckt, es in Händen zu halten.
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