Das Haus des Buecherdiebs
Jugend geradezu magisch anzog und seine Phantasie beflügelte.
Vierzig Jahre blieb al-Bīrūnī über die Mysterien Manis im Ungewissen. Dann, eines Tages, er war schon ein betagter Mann, suchte ihn ein Bittsteller auf, der die Gunst des Gelehrten mit einigen seltenen Büchern zu gewinnen hoffte. Der Wissenschaftler strich sich genüsslich den Bart, als er die Gabe dankend akzeptierte, betastete freudig das altehrwürdige Pergament und schnupperte begierig den Staub der Jahrhunderte, ohne zu ahnen, was die Vorsehung oder der Zufall ihm hier ins Haus geweht hatte. Denn unter den Schriftrollen, losen Blättern und Kopien obskurer Poeten aus dem Land der zwei Ströme fand sich auch ein Band mit den heiligen Schriften der Manichäer, einige Briefe ihres Propheten – und das »Buch der Geheimnisse«. »Da überkam mich eine Freude, wie sie den Verdurstenden beim Anblick einer Fata Morgana überkommt«, schrieb al-Bīrūnī. So lange hatte er den Augenblick herbeigesehnt, so lange hatte er vergeblich gehofft, zu ergründen, was es mit dieser nebulösen Weisheit des Lichtengels auf sich habe, und nun hatte er endlich das Ziel erreicht und stand kurz vor der Enthüllung des größten Rätsels. Doch dann musste er feststellen, wie wenig eine Fata Morgana mit einer echten Oase gemein hat, und ihn befiel dieselbe Betrübnis wie den Wanderer in der Wüste, |22| der beim Näherkommen merkt, dass die Luftspiegelung und die Hitze ihm einen Streich gespielt haben. Statt inspirierender Weisheit und Erleuchtung fand der Gelehrte nur reinen Schwachsinn und glatten Unfug: »Der Titel täuschte mich, so wie in der Alchemie das weiß und gelb Gefärbte manch einen außer mir täuscht.« Al-Bīrūnī fertigte sogleich eine Zusammenfassung des belanglosen Werkes an, »damit jeder, der von derselben Krankheit wie ich angesteckt sein sollte, sich damit vertraut machen kann und seine Genesung ebenso rasch vonstattengeht wie in meinem Falle«.
Die kleine Schrift über die Manichäer war nur eines von 145 Büchern und Traktaten, die al-Bīrūnī im Laufe seines Lebens verfasste und die er liebevoll seine »Kin der « nannte. Nur weniges ist erhalten. Trotz seiner unbestrittenen Verdienste blieb der Name eines der bedeutendsten Wissenschaftler der islamischen Welt im Westen lange unbekannt, bis einige seiner wichtigsten Arbeiten, wie sein umfangreicher Bericht über die Kultur und Geschichte Indiens, Ende des 19. Jahrhunderts von Orientalisten entdeckt und zum Teil auch übersetzt wurden.
Al-Bīrūnī starb entgegen allen astrologischen Vorhersagen im Alter von 75 Jahren, am 9. Dezember 1048. An jenem Tag besuchte ihn ein Freund, der ihn in einem sehr geschwächten Zustand vorfand. Doch trotz all seiner Leiden und Gebrechen beschäftigte sich al-Bīrūnī noch immer mit einem komplizierten juristischen Problem und bat seinen Freund, der als Experte auf diesem Gebiet galt, es ihm zu erklären. Dieser befürchtete, ein |23| langer Vortrag zu einem so schwierigen Thema werde den Kranken zu sehr belasten, doch al-Bīrūnī bestand darauf. Es sei doch besser, wenn er die Welt mit diesem Wissen verlasse. Der Freund gab schließlich nach und begann mit dem Sterbenden zu diskutieren. Nach einiger Zeit verabschiedete er sich. Kaum hatte er das Haus verlassen, erklang hinter ihm die Totenklage.
So vergeblich al-Bīrūnīs lebenslange Suche auch scheinen mag, offenbart sie uns nicht nur die echte Leidenschaft eines Bücherfreundes, sondern eine größere Weisheit als irgendein längst zerfallenes Buch der Geheimnisse. Denn wenn das Suchen wichtiger ist als das Finden, der Schlüssel wichtiger als der Schatz und der Weg wichtiger als das Ziel, dann hätten wir alles, was wir brauchen, um glücklich zu sein.
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|24| Der Bücherfresser
In meiner Bibliothek habe ich die ganze Welterfahrung, die ich brauche.
Lionel Johnson
Für die meisten von uns sind Bücher freundliche und nützliche Begleiter, die dem Zeitvertreib, der Bildung oder schlicht der Information dienen. Für einige Menschen sind Bücher das Leben. Nicht nur, weil es ihr Beruf zwangsläufig mit sich bringt oder weil sie bibliophile Neigungen verspüren, sondern weil sie unfähig sind, etwas anderes als Bücher zu lieben. Wie innig, allumfassend und vollkommen eine solche Liebe sein kann, erzählen die vielen kuriosen Geschichten um den florentinischen Bibliothekar Antonio Magliabechi, der von seinen Zeitgenossen »Bücherfresser« genannt wurde.
Magliabechi wurde im Jahr 1633 in
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