Das Haus des Buecherdiebs
Titel ihm so verheißungsvoll schienen, dass er sie um jeden Preis finden und lesen wollte. Im dichten Gedränge des Bazars feilschte er um zerfledderte Schriftrollen zweifelhafter Herkunft, beäugte neugierig den mit seltsamen Hieroglyphen bedeckten Papyros, in den ein Dattelverkäufer achtlos seine Ware wickelte, und fragte den Teppichhändler nach der Karawane, die aus dem fernen Indien eintreffen sollte und hoffentlich ein längst bestelltes Exemplar des »Brāhma-Siddhānta« von Brahmagubta mitbringen würde, das ihm vielleicht bei seiner Beschäftigung mit dem Problem der Erdrotation weiterhelfen konnte. Was er jedoch vor allen anderen begehrte, war jenes legendäre »Buch der Geheimnisse« von Mani. Al-Bīrūnī fragte jeden durchreisenden Fremden, jeden Kaufmann und jeden Gelehrten, den er kannte oder zufällig traf, ob er davon gehört habe, ob es wirklich existiere und wo es zu finden sei. Doch niemand wusste Antwort, und nicht wenige hielten ihn für verrückt.
Seit er das Werk des Alchimisten ar-Razī studiert hatte, war er von den rätselhaften Schriften der Manichäer |19| fasziniert. Denn dieser alte Ketzer hatte zwar die Religion im Allgemeinen als Teufelswerk verurteilt, die Weisheit Manis, die sich in seinen Briefen und Nachlässen offenbare, jedoch ausdrücklich gelobt.
Der babylonische Glaubensführer, der auch unter den Namen Manes oder Manichäus bekannt war, hatte sich lange mit christlichen, buddhistischen und magischen Lehren beschäftigt und sah sich selbst als direkter Nachfolger einer langen Reihe von Propheten: »Nicht haben die Gesandten Gottes aufgehört, mit Weisheit und Wundertaten von Zeit zu Zeit zu erscheinen. In dem einen Jahrhundert geschah ihr Auftreten durch den Propheten, der Buddha für das Land Indien war, in einem anderen durch Zarathustra für das Land Persien, in einem anderen durch Jesus für das Land des Westens, danach kam diese Offenbarung und dieses Prophetenamt herab in diesem letzten Jahrhundert durch mich, Mani, den Gesandten des wahren Gottes für Babylonien.« Der Prophet wurde von seinen Anhängern als »Engel des Lichts« verehrt. Sein Weltbild war dualistisch: Licht und Dunkelheit, Gut und Böse, Geist und Materie sah er in einem ewigen Kampf. Die materielle Welt und alles Körperliche ordnete er dem Reich des Bösen zu. Um die Vollkommenheit zu erlangen, müsse der Mensch seine Seele durch bestimmte Riten reinigen und lernen, auf alles Irdische und Materielle zu verzichten. Der Weg ins Paradies führte über das strenge Gebot der Askese. Der fromme Manichäer sollte in Armut leben, Almosen spenden, auf Fleisch und jegliche Sinnesfreuden verzichten. »Alles, was man mit den Sinnen |20| aufnimmt«, heißt es bei Thomas Pynchon, »was ein Mensch in der Welt, die ihm gegeben ist, liebt: die Gesichter seiner Kinder, Sonnenuntergänge, Regen, der Duft der Erde, ein herzliches Lachen, die Berührung durch einen geliebten Menschen, das Blut eines Feindes, das Essen, das die Mutter gekocht hat, Wein, Musik, sportliche Triumphe, eine attraktive Fremde, der Körper, in dem er sich zu Hause fühlt, die Meeresbrise, die über seine nackte Haut streicht – all diese Dinge sind für den gläubigen Manichäer von Übel, die Werke einer bösen Gottheit, Phantome und Verschleierungen, von Anbeginn zugehörig dem Reich der Zeit, des Auswurfs und der Finsternis.«
Diese vollkommen lust- und lebensfeindliche Lehre verbreitete sich im 3. Jahrhundert in ganz Persien, bis Bahrām König wurde und Mani festnehmen ließ. Der Herrscher sah in dem Propheten eine Bedrohung – nicht nur für den eigenen Thron, sondern für die gesamte Menschheit, die aussterben würde, wenn sie den manichäischen Geboten folgte. Der Weltenzerstörer musste vernichtet werden, ehe er sein Werk vollenden konnte. Mani wurde zusammen mit zahlreichen Anhängern auf grausamste Art hingerichtet. Ihm wurde die Haut abgezogen, die leere Hülle wurde mit Stroh ausgestopft und zur Abschreckung und Warnung am Tor der Stadt Gondeˆsapur aufgehängt.
Nach dem Tod des Märtyrers verlor seine Religion rasch an Bedeutung, seine Schriften wurden in alle Winde zerstreut, seine Worte wurden vergessen. Doch al-Bīrūnī kannte rund siebenhundert Jahre später zumindest |21| noch die Titel seiner wichtigsten Werke: »Das Buch der Riesen«, »Der Schatz des neuen Lebens«, »Die Morgenröte der Gewissheit«, »Die Grundlegung«, »Das Evangelium« und ebenjenes sagenumwobene »Buch der Geheimnisse«, das ihn seit seiner
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