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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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vielleicht, das Richtige entdeckte. Zudem war die Shuvani keine Freundin von Kundenberatung. Sie vertrat die Ansicht, der Käufer wisse selbst am besten, wonach er suche. Sie beschränkte ihren Anteil am Verkauf auf das Kassieren und ihren Platz hinter dem Tresen, wo sie in Büchern und antiquarischen Katalogen blätterte und dabei wachsam jeden Besucher im Auge behielt. Jupiter erinnerte sich noch gut an Miwas ungehaltene Reaktion, als sie sich am Ende ihres ersten Tages im Laden vor der Shuvani aufgebaut hatte … ganze eins fünfundsechzig hoch und so schmal wie eine zwölfjährige Ballettänzerin -, und der alten Frau Mißtrauen, Unhöflichkeit und … zugegeben, ein wenig unmotiviert … ausgesprochene Häßlichkeit attestiert hatte. Zu jenem Zeitpunkt allerdings war es für die Shuvani ohnehin längst beschlossene Sache gewesen, die energische Japanerin nicht zu mögen, und so hatten Miwas Worte die gegenseitige Antipathie zwar besiegelt, aber keinesfalls hervorgerufen.
    Jupiter fühlte sich unwohl bei der Erinnerung an jene Tage und versuchte, die Bilder durch das Strecken und Recken seiner Glieder abzustreifen. Vergeblich. Miwa war immer bei ihm, bei jedem Schritt, jedem Wort, jedem Gedanken.
    Eine weiße Katze huschte über das steinerne Geländer des Dachgartens, drückte sich elegant zwischen den mannshohen Kübelpflanzen hindurch und landete mit einem raschen Satz auf dem Schoß der Shuvani. Hingebungsvoll begann die alte Frau das Tier zu streicheln.
    »Unten hab ich vorhin einen Kater gesehen, ziemlich zerzaust«, sagte Jupiter. »Gehört der auch euch?«
    »Weder er noch sie.« Die Shuvani kraulte die Flanken der Katze.
    »Aber sie kommen alle, weil sie sich bei mir wohl fühlen. Das haben du und die Katzen gemeinsam, stimmt’s?«
    Jupiter fühlte sich überrumpelt. Er hatte kühl auftreten und die Shuvani zurechtweisen wollen für ihren Leichtsinn, mit dem sie Coralina zu einem Verbrechen angestiftet hatte. Doch jetzt konnte er nicht anders als zuzustimmen: Er hatte die alte Frau und ihr hoffnungslos mit Krimskrams überfülltes Haus schon immer gemocht, und daran würde sich auch in Zukunft nichts ändern, ganz gleich welche Pläne die Shuvani zur Rettung ihrer Finanzlage aushecken mochte.
    Vor über zehn Jahren, als er zum ersten Mal von ihr und ihrem Kuriositätenkabinett gehört hatte, war er eines Tages ohne große Hoffnung vor ihrer Tür aufgetaucht. Er hatte einen heißen Augusttag lang in ihren Regalen und Schränken nach einer Erstausgabe von Fulcanellis Le Mystere des Cathedrales gesucht, von dem sie mit großer Überzeugungskraft behauptete, sie habe es gegen Ende des Zweiten Weltkriegs nahe Nürnberg von einem französischen Kriegsgefangenen erstanden. Schenkte man ihren Worten Glauben, so hatte sich im Einband des Buches eine handschriftliche Notiz des geheimnisumwitterten Autors befunden … obgleich sie Jupiter den Beweis dafür schuldig blieb, denn das Buch war unauffindbar gewesen. Dennoch hatten er und die wunderliche Alte Freundschaft geschlossen. Erst später erfuhr er, wie sehr ihn ihre Zuneigung auszeichnete. Die Shuvani hatte keine Freunde und nur wenige gute Bekannte. Aus Gründen, die er bis heute nicht nachvollziehen konnte, hatte sie einen Narren an ihm gefressen. Damals hatte die Shuvani ihn eingeladen, während seiner weiteren Recherchen in Rom in ihrem Haus zu wohnen, und in einer jener Nächte war Coralina in seinem Zimmer aufgetaucht, ganz berauscht von kindlicher Verliebtheit.
    »Großmutter?« Coralina zwirbelte eine schwarze Haarsträhne um ihren Finger. »Denkst du nicht, wir sollten Jupiter alles erzählen?«
    »Ist er denn bereit dazu?« fragte die Shuvani leise, ohne von der weißen Katze aufzuschauen, die sich genüßlich auf ihren breiten Schenkeln räkelte.
    »Bereit wozu?« Jupiter blickte von Coralina zu ihrer Großmutter, nicht wirklich beunruhigt, aber doch überrascht. Er hätte wissen müssen, daß die Shuvani einen Trumpf in der Hinterhand hatte.
    Als niemand antwortete, fragte er noch einmal: »Bereit wozu?«
    »Möglich, daß wir einen Fehler gemacht haben«, sagte Coralina. Sie stand auf und gab der Katze auf dem Schoß der Shuvani einen Klaps, der sie verscheuchte. »Ich hasse Katzen.«
    Jupiter sah dem Tier nach, als es lautlos zwischen den Kübeln verschwand. Er hätte sich gerne davon ablenken lassen; ihm war klar, daß er nun etwas zu hören bekäme, das ihm nicht gefallen würde. Einen Moment lang kam ihm der Gedanke, daß dies wahrscheinlich

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