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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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sagte sie: Nur bis zur
Cheapside.«
    Athelstan war im
Begriff, knapp und wütend zu antworten, aber die Worte des
Coroners erinnerten ihn: Eine Woche zuvor, kurz vor dem Fest der
Heiligen Jungfrau, hatte er Lady Maude in der Nähe des
Gasthauses in Southwark gesehen. Er hatte es merkwürdig
gefunden, dann aber vergessen. Cranstons Augen wurden
schmal.
    »Du weißt
etwas, nicht wahr, du verfluchter Mönch?« Athelstan
wandte sich ab. »Ich bin ein Ordensbruder«, entgegnete
er sanft. »Sir John, ich weiß nur, daß ich Euch
und Lady Maude sehr schätze. Und ich weiß, daß sie
Euch niemals betrügen würde.«
    Cranston drängte
an ihm vorbei. »Los!« bellte er. »Wir haben zu
tun!«
    Am Ende der Gasse
angelangt, gingen sie den Hang hinauf und betraten den Tower durch
eine Seitenpforte. Eine der Wachen nahm ihnen die Pferde ab und
führte sie über das Tower Green, das jetzt
knöcheltief von Schneematsch bedeckt war, zu Colebrooke, der
sie niedergeschlagen erwartete.
    »Wieder ein
Toter« sagte er betrübt. »Sir John, ich
wünschte, ich könnte sagen, Ihr seid mir
willkommen.« Er schaute zum blauen Himmel hinauf, wo die
Raben krächzten, und deutete in die Höhe. »Ihr
kennt die Legenden, Sir John? Solange die Raben hier sind, wird der
Tower nicht fallen. Und wenn sie so durchdringend krächzen,
ist das immer ein Zeichen des nahenden Todes.« Colebrooke
blies sich auf die Fingerspitzen. »Unglücklicherweise
nimmt das Lied der Raben allmählich kein Ende
mehr.«
    »Wußte
irgend jemand, daß Mowbray die gleiche Warnung erhalten hatte
wie Sir Ralph?« fragte Cranston unvermittelt. Colebrooke
schüttelte den Kopf. »Nein. Mowbray fühlte sich
unbehaglich, aber nach Sir Ralphs Tod ging es uns allen so. Er und
Sir Brian zogen sich zurück. Gestern nacht machte Mowbray
seinen üblichen Spaziergang oben auf der Mauer zwischen dem
Salt Tower und dem Broad Arrow Tower. Dort war er, als die
Sturmglocke läutete. Anscheinend hörte er den Alarm, lief
los, rutschte aus und stürzte zu Tode.«
    »War niemand bei
ihm auf dem Wehrgang?«
    »Nein. Und wenn
wir die Warnung nicht in seiner Tasche gefunden hätten,
hätten wir das Ganze tatsächlich für einen simplen
Unfall gehalten.«
    »War es rutschig
dort oben?«
    »Nein,
selbstverständlich nicht. Sir John, Sir Ralph war
äußerst streng in diesen Dingen. Sowie das Wetter sich
verschlechtert, wird jede Stufe mit Sand oder Kies
bestreut.«
    »Und wer hat die
Glocke geläutet?« fragte Athelstan.
    »Das ist das
Geheimnis. Kommt, ich zeig’s Euch.«
    Sie gingen in die
Mitte des Tower Green. Der Schnee war dort fast unberührt und
türmte sich um einen mächtigen Holzpfahl, an dem ein
waagerechter Balken angebracht war, wie bei einem Galgen. An einem
eisernen Ring hing die Sturmglocke, und vom schweren
Messingklöppel baumelte ein langes
Seil.  
    »Seht
Ihr«, sagte Colebrooke und zeigte auf die Glocke, »sie
wird nur geläutet, wenn der Tower direkt angegriffen wird. Die
Glocke ist so aufgehängt, daß sie, wenn man das Seil
auch nur berührt, pausenlos läutet.«
    Sir John schaute hoch
und nickte weise. »Natürlich«, sagte er.
»Solch einen Mechanismus habe ich schon mal gesehen. Auch
wenn die Wache verwundet ist, braucht sie die Glocke nur in Gang zu
setzen, und dann schwingt und läutet sie so lange, bis sie
angehalten wird.«
    »Genau!«
sagte Colebrooke. »Und da liegt das Geheimnis. Ich selbst
habe die Glocke angehalten. Es war niemand in der
Nähe.«
    »Aber jemand
könnte sie geläutet haben und dann weggelaufen
sein«, meinte Cranston.
    Colebrooke
schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Ich kam mit einer
Fackel heraus und brachte die Glocke zur Ruhe, aber als ich den
Schnee untersuchte, fand ich weit und breit keine
Fußspuren.«
    »Wie?«
fragte Cranston. »Überhaupt keine?«
    »Keine einzige,
Sir John.« Colebrooke deutete auf den Schneeteppich ringsum.
»Weil diese Glocke so wichtig ist«, erklärte er,
»darf niemand ihr nahe kommen. Sogar wenn die Soldaten
betrunken sind, halten sie Abstand, damit sie nicht dagegen
stolpern und die Glocke in Gang setzen.«
    »Und es fand
sich auch sonst nichts?«
    »Nichts. Nur die
Klauenspuren der Raben.«
    »Aber das kann
nicht sein«, meinte Athelstan.
    Colebrooke seufzte.
»Da bin ich ganz Eurer Meinung, Pater. Und die Sache wird
noch geheimnisvoller, weil die Wachen, die rund um die Wiese
patrouillierten, niemanden gesehen haben, der in die Nähe der
Glocke gekommen wäre. Und es wurden keine Fußspuren
gefunden.« Colebrooke

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