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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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Pfaffe!
Mögt Ihr den alten Rothand?«
    Athelstan sah das Huhn
in seiner Hand zappeln. Der arme Vogel kreischte und flatterte, und
seine Krallen schlugen gegen Rothands Bauch und zerrissen seine
Lumpen noch mehr, aber Rothand hielt ihn fest bei der
Kehle.
    »Wieder ist der
Tod gekommen!« sang er, und in seinen hellblauen Augen
funkelte grausame Freude. »Der alte Rote Schlächter ist
zurückgekommen, und noch mehr Menschen werden sterben.
Wartet’s nur ab. Der Tod kommt, schnapp, gerade
so!«
    Und ehe Athelstan und
Cranston etwas tun konnten, biß der Verrückte in den
Hühnerhals und riß die Gurgel heraus. Der Vogel
krächzte noch einmal, zappelte und erschlaffte dann. Rothand
starrte sie an, und sein Mund war voller Blut, Schleim und
Federn.
    »Tod! Tod!
Tod!« sang er.
    »Verschwinde!«
kläffte Cranston. »Hau ab, du kleiner
Scheißer!« Rothand drehte sich um und rannte davon; das
Blut des getöteten Huhns spritzte in den Schneematsch.
Cranston sah ihm nach, bis er hinter einer Mauer verschwunden
war.
    »In meiner
Abhandlung, Bruder«, sagte er leise, »werde ich
Häuser für solche Menschen vorschlagen. Allerdings frage
ich mich…«
    »Was, Sir
John?«
    »Nun, ich frage
mich, ob Rothand so verrückt ist, wie er tut.« Athelstan
zuckte die Achseln. »Wer könnte entscheiden, wer
verrückt ist, Sir John? Vielleicht hält Rothand sich
für den einzigen vernünftigen Menschen
hier.«
    Athelstan ging voran,
die steile Treppe hinauf. Sir John folgte ihm schnaufend und finstere
Flüche murmelnd. Der Wind peitschte ihre Gesichter. Auf halber
Höhe blieb Athelstan stehen, bückte sich und hob eine
Handvoll des mit Kies gemischten Sandes hoch, der jede Treppenstufe
bedeckte.
    »Niemand
würde hier ausrutschen, Sir John.«
    »Außer, er
wäre betrunken oder unvorsichtig«, erwiderte
Cranston.
    »Aye, Sir John.
Und ein nüchterner Soldat ist in der Tat eine
Seltenheit.«
    »Aye,
Mönchlein, eine große Seltenheit, aber nicht so selten
wie ein heiliger Priester.«
    Athelstan grinste und
ging weiter bis zur Brustwehr hinauf. Der Wehrgang war etwa
anderthalb Schritt breit und ebenso sorgfältig wie die Treppe
mit Sand und Kies bestreut. Die beiden lehnten sich an die
Brüstung. Schwer atmend spähte Cranston hinunter und
beobachtete neugierig die Gestalten, die dort wie schwarze Ameisen
den diversen Geschäften einer Garnison nachgingen. Dann
schaute er hinauf in den blauen Himmel; zarte Wolkenschleier
strahlten in der kräftigen Mittagssonne. Dem Coroner war
plötzlich ziemlich schwindlig, und er verfluchte sich
insgeheim, weil er so viel getrunken hatte.
    »Das
Alter«, murmelte er.
    »Wie
bitte?«
    »In media vitae
sumus in morte«, sagte Cranston. »Mitten im Leben sind
wir vom Tod umfangen, Bruder. Ich fühle mich hier oben nicht
allzu sicher. Damals in Frankreich, als ich jünger, aber noch
nicht so weise war wie heute, habe ich einen solchen Wehrgang gegen
die Besten gehalten, die die Franzosen uns heraufschickten.«
Cranston fühlte, wie ihn Selbstmitleid durchströmte. Ob
auch Maude ihn alt fand? Sir John holte tief Luft und bemühte
sich, Wut und Angst, die ihn durchzuckten, zu unterdrücken.
»Geh du weiter, Athelstan«, brummte er. »Sichte
deine verfluchten Tatsachen.«
    »Bleibt hier,
Sir John«, sagte Athelstan leise, und ließ mutlos den
Blick über den Kiessand wandern. »Vermutlich sind seit
Mowbrays Absturz so viele hier oben gewesen, daß wir gar
nichts mehr finden werden.«
    Mit vorsichtigen
Schritten ging Athelstan an der von Schießscharten
unterbrochenen Mauer entlang. Er ging langsam und wagte nicht, in
den Abgrund zu seiner Rechten hinunterzuschauen. Immer mehr
spürte er die Kälte, den schneidenden Wind und ein
gespenstisches Gefühl von Einsamkeit.
    Der Wehrgang
erstreckte sich zwischen zwei Türmen. In der Nähe des
Salt Tower sah er, daß der kiesbestreute Schneematsch
aufgewühlt war. Hier hatte wohl jemand längere Zeit
gestanden. Athelstan untersuchte die Stelle
gründlich.
    »Was hast du
gefunden, Bruder?« brüllte Cranston.
    Athelstan kam
vorsichtig zurück.   
    »Mowbray stand
dort, wo ich gerade stehengeblieben bin. So, Sir John - wenn Ihr
jetzt vorausgehen möchtet…«
    Cranston ging
zurück, und Athelstan folgte ihm.
    »Weiter, Sir
John. Bleibt auf der obersten Stufe stehen.« Cranston
gehorchte mit geschlossenen Augen, denn ihm ging es inzwischen gar
nicht gut.
    »Was ist,
Bruder?« ächzte er.
    Athelstan hockte sich
nieder und betrachtete aufmerksam den verstreuten

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