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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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Kiessand.
»Ich vermute, hier ist Mowbray gefallen«, sagte er.
»Aber warum? Und wie?« Er untersuchte die
Schießscharten, durch die die Bogenschützen die Mauer
verteidigen würden. »Seltsam«, murmelte er.
»Da ist eine frische Kerbe in der Mauer, als hätte
jemand mit der Axt dagegengeschlagen. Und seht nur, Sir
John…« Erhob ein paar Holzsplitter auf. »Die
sind frisch.«
    Cranston öffnete
die Augen. »Ja, Bruder, aber was bedeutet das?«
    »Ich weiß
es nicht, aber es sieht aus, als hätte jemand eine Axt mit solcher Wucht
gegen die Mauer geschlagen, daß der Stein 'abgesplittert und
der Holzstiel zerbrochen ist.«
    Cranston
schüttelte ungläubig den Kopf.
    »Ich weiß
nicht«, sagte Athelstan. »Ich sehe keinen Zusammenhang
zwischen Mowbrays Sturz und diesen Spuren.« Der Dominikaner
warf einen mißtrauischen Blick auf Cranstons weißes,
eingefallenes Gesicht, die trüben, roten Augen und bemerkte
sein gefährliches Schwanken auf der obersten Treppenstufe.
»Kommt, Sir John«, sagte er sanft, »hier sind wir
fertig, und die Leute erwarten uns.«
    Vorsichtig stiegen sie
hinunter. Unten angekommen, war es Cranston gleich wohler, und er
drehte sich um und strahlte Athelstan an.
    »Gott sei
Dank!« dröhnte er. »So was geschieht nicht jeden
Tag, was, Bruder?«
    Gott sei Dank hast du
auch nicht jeden Tag eine solche Laune, dachte Athelstan und sah
sich um. In der Garnison herrschte reges Treiben. Soldaten in
halbangelegter Rüstung räkelten sich auf den Bänken;
trotz der Kälte wollten sie die Sonne genießen. Einige
würfelten, andere teilten sich einen Weinschlauch. Ein
Küchenjunge lief mit einem Korb voll frischgekochtem Fleisch
über den Platz zu einer der Küchen, wo es
geräuchert, gewürzt, gepökelt und für den
Winter eingelagert werden sollte. Hammerschläge hallten aus
der Schmiede wie eine Glocke. Irgendwo weinte ein Kind, Sohn oder
Tochter eines Soldaten. Im Außenhof befahl ein Offizier
brüllend, ein Tor zu ölen. Ein Hund bellte, und aus einer
der Küchen drang Gelächter. Athelstan lächelte und
entspannte
sich.        
    Man durfte die kleinen
Dinge des Lebens nicht vergessen, ermahnte er sich, denn sie
hielten einen bei Verstand. Er hakte sich bei Sir John unter; sie
schlenderten vorsichtig durch den schmutzigen Matsch und nahmen
sich in acht vor noch nicht aufgetauten Stellen.
    *
    Ein Wächter
führte sie in den Beauchamp Tower und in Mistress Philippas
Gemach im ersten Stock. Es war ein geräumiges Zimmer mit
großem Erkerfenster, das zum Tower Green hinausging. Die
Fensterbänke waren mit gesteppten Polstern geschmückt und
die Fenster bunt verglast. Schon beim Eintreten spürte
Athelstan, daß dies das Zimmer einer Frau war. Handgewebte
Gobelins hingen an den Wänden; einer zeigte eine goldene
Schlange im Kampf mit einem silbernen Drachen. Auf einem zweiten
lächelte das Jesuskind mit ausgestreckten Armen in seiner
Krippe in Bethlehem, und die Mutter Gottes stand in goldenem Kleid
und einem Mantel von tiefem Himmelblau daneben. Die Backsteine
waren abwechselnd weiß und rot angemalt. In großen
Schränken, deren Türen halb offen standen, sah man
Gewänder, Kleider, Umhänge und Kapuzenmäntel in
verschiedenen Farben und Stoffen. Ein kleines Kiefemholzfeuer
flackerte im Kamin. In einer Ecke stand ein Spinnrad, die
Fäden straff gespannt. In der anderen war das Bett, durch
einen Vorhang abgeschirmt. Ein großer, blankpolierter Tisch
stand mitten im Zimmer; darauf waren Wärmpfannen mit
glühender Holzkohle, Kräutern und Gewürzen verteilt.
Ihr Duft erinnerte Athelstan an einen frischen Frühlingsmorgen
auf dem Bauernhof seiner Eltern in Sussex. Er sah auch die Tür
am anderen Ende des Raumes, die hinter einem dicken roten Teppich
fast verborgen war. Athelstan grinste und zwinkerte Sir John zu.
»Eine Kemenate, Mylord Coroner«, flüsterte
er.
    Cranston grinste,
dachte aber dann an Lady Maude, und sein Gesicht wurde
lang.
    Mistress Philippa
erhob sich, als sie eintraten. In ihrem Temperament erinnerte sie
Athelstan an Benedicta, allerdings nicht im Aussehen; sie zeigte
die gleiche Fassung, und er hatte den stählernen Ausdruck in
ihrem Blick bemerkt. War Philippa stark und skrupellos genug, um
einen Mord zu begehen?
    Die anderen waren
bereits versammelt; sie plauderten leise miteinander wie Leute, die den
Schein zu wahren suchten, obwohl ihre Anspannung fühlbar war.
Als Cranston schwerfällig durch den Raum schwankte, brach das
Gespräch abrupt ab. Entweder Philippa oder die

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