Das Haus des roten Schlächters
große Mühe, Haltung zu bewahren,
denn die Kälte des Verlieses drang durch seine Kutte und
verwandelte seine Beine in Eisblöcke. Aber dann ließ
Simon seinen Gefühlen freien Lauf. Er sprach alles aus - eine
jammervolle Litanei des Scheitems, deren Höhepunkt die
Vergewaltigung eines Kindes war. Athelstan hörte ihm zu,
erteilte ihm die Absolution und erhob sich. Er rieb sich die
steifen Beine, um das Leben zurückzubringen, und der
Wärter kam heran.
»Morgen,
Simon«, flüsterte Athelstan. »Ich werde an dich
denken. Und - Simon?«
Der Verurteilte
blickte auf.
»Wenn du vor dem
Thron Gottes stehst, denke an mich.«
Der Zimmermann nickte.
»Ich wollte es nicht tun, Pater. Ich war einsam, und ich
hatte zuviel getrunken.«
»Ich
weiß«, sagte Athelstan leise. »Gott helfe dir und
ihr!« Er drehte sich nach dem Wärter um und warf ihm
eine Silbermünze zu. »Eine gute Mahlzeit für ihn,
Sir.«
Der Wärter fing
die Münze und nickte.
»Eine
gute«, wiederholte Athelstan. »Ich frage nach,
vergiß das nicht.«
Er wollte gerade
gehen, als Simon ihn rief. »Pater?«
»Ja,
Simon?«
»Ranulf, der
Rattenfänger, war heute hier. Ein Metzger in den Shambles
hatte ihn kommen lassen. Er sagte, Ihr wart im Tower wegen Sir
Ralph Whittons Tod.« Der Zimmermann grinste. »Ich habe
zwar gerade gebeichtet, aber es ist doch gut zu wissen, daß
dieser Dreckskerl vor mir dahingefahren ist. Ein seltsamer Ort, der
Tower, Pater.«
Athelstan nickte. Er
hatte das Gefühl, Simon wollte den Besuch in die Länge
ziehen.
»Ich habe da mal
gearbeitet«, sagte der Zimmermann. »Ein seltsamer Ort.
Schlimmer als dieser hier.«
»Warum,
Simon?«
»Hier haben die
Zellen wenigstens Türen. Im Tower gibt es Räume,
Verliese, da geht man rein, und dann werden die Türen
zugemauert, und man sitzt bis zum Tod hinter einer Mauer aus
Stein.«
»Ist das
wahr?« Athelstan lächelte. »Gott sei mit dir,
Simon.«
Er ging die Treppe
hinauf zu Cranston und Benedicta. Keiner sprach ein Wort, bis sie
das Gefängnis verlassen hatten und die Pforte hinter ihnen ins
Schloß gefallen war.
»Der Vorraum der
Hölle«, murmelte Athelstan, als sie im Schatten der
dunklen St.-Pauls-Kirche die Bowyers Row hinuntergingen. Bei der
Friday Street wollte Sir John sich verabschieden. Athelstan nahm
ihn beiseite und schaute ihm in die traurigen Augen.
»Ich danke Euch,
daß Ihr mitgekommen seid, Sir John. Geht in Frieden und
sprecht mit Lady Maude; ich bin sicher, es wird alles
gut.«
Cranston kratzte sich
am Kopf. »Wer weiß, Bruder - aber das einzig Gute, was
ich heute getan habe, war, Fitzormonde zuzuhören und diesem
Kind zu helfen. Du weißt schon, dem Kleinen bei dem toten
Bettler.«
»Und Ihr seid
mit uns ins Gefängnis gekommen.«
»Aye«,
brummte Cranston. »Ein Pardon für Simon konnte ich nicht
erwirken; aber eine letzte Gnade.«
»Was heißt
das, Sir John?«
»Ich habe eine
Münze für den Henker dagelassen. Simon wird nicht tanzen.
Man wird ihn sehr hoch auf die Leiter steigen lassen.«
Cranston schnippte mit den Fingern. »Es wird ihm das Genick
brechen, und alles ist sehr schnell vorbei.« Der Coroner
stampfte mit den Füßen und schaute in den sternenklaren
Himmel. »Mach jetzt, daß du nach Hause kommst, Bruder.
Die Sterne warten auf dich.« Er wandte sich ab und stapfte
die Straße hinauf. »Ich wünschte
bloß«, rief er im Gehen, »wir hätten den
Ratsherrn Horne gefunden!«
9. Kapitel
Während Athelstan
und Benedicta langsam das dunkle, wilde Wasser der Themse
überquerten und nach Hause gingen, verließ Adam Horne
das Kloster der Gekreuzigten Brüder an der Mark Lane, an der
Nordseite des Tower. Er war gleich nach der Vesper angekommen, um
die Botschaft abzuholen, die ihn dort erwarten sollte. Der
grauhaarige Laienbruder hatte zahnlos gegrinst und ihn in das
Pförtnerhäuschen gewinkt.
»Das liegt schon
den ganzen Nachmittag hier«, hatte der Bruder gemurmelt und
ihm eine dünne Pergamentrolle gereicht. Bang hatte Horne das
Pergament entrollt, den Bruder um eine Kerze gebeten und dann
hastig gelesen, was darauf stand.
»O mein
Gott!« Er stöhnte, als er seine Hoffnungen zerstört
sah. Am Vormittag hatte er ein Stück Pergament mit einem grob
gezeichneten Schiff und einen flachen Sesamkuchen bekommen. Er
hatte versucht, seine Angst vor seiner armen Frau zu verbergen, und
war zum Speicher hinuntergegangen, wo ihn die nächste
Nachricht erwartet hatte: Er solle nicht nach Hause gehen, wies ihn
der kurze Brief an, sondern sich zum
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