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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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angezogen und
war losgegangen, um Venables aus dem Bett zu holen. Cranston
grinste boshaft. Es machte Spaß, den braven Ratsherren
spüren zu lassen, wie es war, vor Tagesanbruch geweckt zu
werden. Aber der verschlafen dreinblickende Ratsherr konnte ihm
nichts Neues von Droxford berichten.
    »Weit kann er
nicht geflohen sein, Sir John«, murmelte Venables. »Bei
diesem Wetter würde nur ein Narr versuchen, die Stadtgrenze
hinter sich zu lassen, und außerdem sind seine Beschreibung
und die ausgesetzte Belohnung überall angeschlagen.«
Venables grinste. »Schließlich ist er ein Mann, an den
man sich erinnern würde.«
    »Was meint Ihr
damit?«
    »Nun, an der
einen Hand fehlen ihm zwei Finger, und im Gesicht hat er lauter
behaarte Warzen.« Der Ratsherr zog den pelzverbrämten
Hausmantel fester um die Schultern, trat auf dem Steinboden unruhig
von einem Bein aufs andere und gab dem Coroner zu verstehen,
daß er verschwinden solle. »Was ist überhaupt so
Besonderes an Droxford, Sir John?«
    »Er ist etwas
Besonderes, Master Venables, weil er ein Mörder ist und ein
Verbrecher, der seinem Herm über zweihundert Pfund gestohlen
hat, und weil es so aussieht, als käme er ungeschoren
davon!«
    Venables warf einen
Blick in Cranstons wütendes Gesicht und pflichtete ihm sofort
bei. Sir John stapfte davon und fluchte leise über
Amtsträger, denen anscheinend alles egal war. Aber im Grunde
seines Herzens wußte er, daß er ein Heuchler war. Die
Angelegenheit im Tower war immer noch geheimnisvoll. Der geflohene
Droxford - von dem fahrlässigen Ratsherrn ganz zu schweigen -
bot ihm nur eine willkommene Gelegenheit, seine schlechte Laune
auszutoben.
    Er bog in die noch
verlassene Lombard Street ein und kam zu dem großen Pranger
vor der Poultry. Ein paar Büttel standen um einen Bettler, der
dort eingeschlossen war. Füße und Hände klemmten
zwischen den schweren Balken, das Gesicht war blaugefroren, die
Augen offen.
    »Was ist hier
los?« polterte Cranston.
    Die Büttel traten
von einem Bein aufs andere.
    »Irgend jemand
hat gestern abend vergessen, ihn herauszulassen«, antwortete
einer von ihnen. »Das arme Schwein ist
erfroren.«
    »Dann wird ein
anderes Schwein dafür bezahlen!« brüllte Sir John
und ging die breite Hauptstraße hinauf zu seinem Haus. Eine
verängstigt aussehende Magd machte ihm die Tür auf. Sir
John blieb plötzlich stehen, und seine Augen wurden schmal.
Hatte er da nicht einen Schatten in der Gasse neben dem Haus
gesehen? Er ging zurück. Nichts. Cranston schüttelte den
Kopf, schwor sich, weniger zu trinken und rauschte an der bang
blickenden Magd vorbei in die Küche. Gott sei Dank, Maude war
nicht da. Er hatte die Auseinandersetzungen mit ihr satt.
»Irgendwelche Nachrichten für mich?« kläffte
er den bedrückt aussehenden Leif an, der immer noch an seinem
Lieblingsplatz neben dem Kamin hockte. Der einbeinige Bettler
schaute von einer Schüssel mit Gemüse und
Würzfleisch hoch und schüttelte den
Kopf.   
    »Nein, Sir
John«, antwortete er. »Aber ich habe die Zinntöpfe
poliert.«
    »Gut«,
knurrte der Coroner. »Wenigstens einer in dieser Stadt, der
arbeitet.«
    Er goß sich
einen großzügig bemessenen Becher Wein ein und nahm ein
kleines Weißbrot, das die Köchin zum Auskühlen auf
den Küchentisch gelegt hatte. Er brach Stück für
Stück davon ab und trank geräuschvoll aus seinem Becher;
dabei starrte er wütend ins Kaminfeuer. Was sollte er tun? Die
Morde an Whitton und Mowbray im Tower waren so rätselhaft wie
eh und je, und Horne hatte er nicht auftreiben können. Sir
John wußte, daß es nur eine Frage der Zeit war, wann
die Herren im Rathaus - oder, schlimmer noch, der Regent im
Savoy-Palast - von ihm Rechenschaft verlangen würden. Es
klopfte heftig an der Tür.
    »Los,
Leif«, knurrte Cranston. »Mir ist zu kalt, um
hinzugehen, verdammt!«
    Leif schaute ihn
mitleidheischend an.
    »Los, du fauler
Hund!« brüllte Cranston. »In diesem Hause wird
nicht bloß auf dem Arsch gesessen und sich das Maul
vollgestopft mit jedem Bissen, den du in deine klebrigen Finger
kriegst!«
    Leif seufzte, stellte
seine Schüssel hin und humpelte zur Tür hinaus. Cranston
hörte, wie die Tür aufging, dann kam der Mann langsam
zurückgehinkt.
    »Was
gibt’s?« Gutmütig zwinkerte Cranston der Magd zu,
die ebenfalls zur Tür gelaufen war. Das Mädchen
lächelte ängstlich zurück, und Cranston verfluchte
sich im stillen. Mit seinem Jähzorn versetzte er jeden in
Angst und Schrecken. Er mußte sich

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