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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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der
Karren möge weiterfahren, aber er blieb neben ihnen stehen.
Der Kutscher versuchte, die Pferde zu beruhigen, als zwei
kreischende Katzen, die sich um irgendwelches Ungeziefer balgten,
aus dem Schatten hervorschossen. Cranston wußte, was auf dem
Karren war; er hatte in dem Kutscher den Henker von Tyburn
erkannt.
    »Nicht hin
schauen«, flüsterte er.
    Aber Benedictas
Neugier war geweckt; sie stützte sich auf Athelstans Arm,
stellte sich auf die Zehenspitzen und lugte über den Rand des
Karrens. Entsetzt erblickte sie weiße, gefrorene Kadaver
unter einer zerfetzten Segeltuchplane. Die Glieder waren
merkwürdig verdreht; um den Hals hatte jeder einen dicken,
purpurroten Strich, und ihre ebenso leuchtendroten Gesichter waren
verzerrt. Geschwollene Zungen klemmten zwischen eiskalten Lippen,
und von den Augen war nur das Weiße zu sehen. »Oh,
gütiger Gott!« hauchte sie und lehnte sich an die
Hauswand. Der Kutscher ließ die Peitsche knallen, und der
Karren rollte weiter.
    »Was war
das?«
    »Die Gehenkten
von The Elms«, sagte Cranston. »Nachts werden die
Leichen abgeschnitten und in die großen Kalkgruben am
Kartäuserkloster gekippt.« Er funkelte die Witwe erbost
an. »Ich habe Euch doch gesagt, Ihr sollt nicht
hinsehen!« Benedicta würgte und folgte Cranston, auf
Athelstans Arm gestützt, durch Ludgate zum
Gefängnis.
    Der Kerker verbesserte
ihre Stimmung nicht. Hinter grauen, düsteren Mauern lugten ein
paar finstere Gebäude hervor, und ein schwarzes Tor
gähnte vor ihnen wie ein Rachen, der jeden Unglücklichen
verschlucken wollte. Cranston zog am Glockenseil, und man
ließ sie zu einem Pförtchen herein, das in das
mächtige Tor eingelassen war. Ein Wärter führte sie
zum Pförtner, der, als er Sir John erkannte, katzbuckelte und
einen Kratzfuß nach dem anderen machte. Jetzt war Athelstan
doch froh, daß der Coroner dabei war. Sie durchquerten eine
große Halle, wo die Schuldhäftlinge eingesperrt waren;
Bänke und zwei lange Tische aus Eichenholz waren mit fettigem
Schmutz
überzogen.        
    Die Leute, die an
diesen Tischen saßen, waren dreckig und stanken; Männer
wie Frauen trugen fadenscheinige Wämse und zerlumpte
Mäntel.
    Die drei eilten durch
die Halle und einen mit Stein ausgelegten Gang hinauf, vorbei an
vergitterten Fenstern, wo arme Schuldner ihre Bettelschalen
schüttelten und um Almosen winselten. Schließlich ging
es über eine schmierige, geborstene Treppe hinunter in die
Halle der Verdammten, einen massiven Gewölbekeller, in dessen
hintere Wand die Kerkerzellen für die Todgeweihten eingelassen
waren.
    »Wen wollt Ihr
sprechen?« fragte der Pförtner.
    »Simon, den
Zimmermann.«
    Der Pförtner
kramte einen Schlüssel hervor und schloß eine der
Kerkertüren auf.
    »Los,
Simon!« brüllte er hinein. »Eine seltene Gunst!
Der Coroner der Stadt London, ein Ordensbruder und eine schöne
Dame! Was kann man mehr verlangen?«
    Simon kam aus der
Zelle gekrochen. Athelstan erkannte ihn kaum wieder: Sein Gesicht
war voller Geschwüre, sein Haar lang und verfilzt und voller
Ungeziefer. Seine Kleider hingen in Fetzen, und er trug schwere
Ketten. Mühsam kam er auf sie zugeschlurft und hob die
gefesselten Hände, um sich die Haare aus dem Gesicht zu
streichen. Seine Lippen waren blau vor Kälte, und die Augen
über den gelben, eingefallenen Wangen glänzten
fiebrig.
    »Pater, bringt
Ihr mir einen Gnadenbescheid?« fragte er
hoffnungsvoll.
    Athelstan
schüttelte den Kopf. »Nein, leider nicht. Ich bin nur
gekommen, um dich zu besuchen, Simon. Kann ich etwas für dich
tun?«
    Der Zimmermann sah
erst ihn, dann Benedicta an; plötzlich warf er den Kopf in den
Nacken und lachte hysterisch, bis der Kerkermeister ihm ins Gesicht
schlug. Der Verurteilte sackte zu Boden und kauerte dort wie ein
geprügelter Hund. Athelstan kniete neben ihm.
    »Simon!«
murmelte er. »Simon!«
    Der Zimmermann hob den
Kopf.
    »Willst du die
Absolution? Ich nehme dir die Beichte ab.«
    Der Mann sah ihn
verzweifelt an.
    »Es ist nicht
mehr zu ändern«, flüsterte Athelstan. »Morgen
um diese Zeit, Simon, bist du bei Gott.«
    Der Zimmermann nickte
und begann zu weinen wie ein Kind. Athelstan drehte sich
um.
    »Sir John,
Benedicta - bitte, laßt mich einen Augenblick mit ihm
allein.«
    Die beiden zogen sich
zurück; der Coroner befahl dem Wärter, ihnen zu folgen,
und zum zweitenmal an diesem Tag nahm Athelstan einem zum Tode
Verurteilten die Beichte ab. Zu Anfang sprach Simon sehr langsam,
und Athelstan hatte

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