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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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nach Schmerzen; kein Weinen, sondern ein angestrengtes Keuchen. Ich schnallte mich ab undkletterte durch die offene Tür. Das Geräusch kam von Zack und Angus, die verknäult auf dem Boden lagen, sich regten, sich aufrappelten und wieder fielen. Mein Verstand setzte ein. Ich durchsuchte das Auto – leer. Ein Scheinwerfer flackerte. Ich stieg aus und umrundete den Wagen in größer werdenden Kreisen, aber Cappy schien verschwunden zu sein. Er holt Hilfe, dachte ich erleichtert und schleppte mich langsam weiter. Licht kam nur von den Sternen und von dem einen Scheinwerfer. Manche Stellen am Boden waren so dunkel wie Bohrschächte, die tief in die Erde reichten. Einen desorientierten Augenblick lang dachte ich wirklich, ich stünde am Rand eines Bergwerks, und hatte Angst, Cappy könnte in den Schacht gefallen sein. Aber es war nur ein Schatten. Der tiefste Schatten, den ich je gesehen hatte. Ich ließ mich auf die Hände und Knie sinken und kroch hinein. Ich tastete mich durch das unsichtbare Gras. Wind kam auf und blies die Rufe meiner Freunde von mir fort. Und auch die Geräusche, die ich selbst machte, als ich Cappy fand, gingen im Brausen des Windes auf.
    * * *
    Auf der Polizeiwache saß ich unbeweglich auf einem Stuhl. Zack und Angus waren in Havre im Krankenhaus. Cappy hatten sie anderswo hingebracht, um ihn für Doe und Randall zurechtzumachen. Mich hatte der Geist hierhergebracht. Ich hatte ihn auf dem Feld gesehen, als ich Cappy im Arm hielt – mein Geist hatte sich über mich gebeugt, hatte seine Taschenlampe so hoch gehalten, dass sie ihm einen silbernen Heiligenschein verlieh, und mit bitterer Verachtung auf mich herabgeschaut. Er hatte mich an der Schulter gepackt. Seine Lippen hatten sich bewegt, aber das Einzige, was ich verstehen konnte, waren die Worte Lass los , und das wollte ich nicht. Ich war eingeschlafen und auf dem Stuhl wieder aufgewacht. Ich muss auch gegessen und getrunken haben. Von alledem weiß ich überhaupt nichts mehr. Nur, dass ich wieder und wieder den runden, schwarzen Stein ansah, den Cappy mir gegeben hatte, das Donnervogel-Ei. Und dann kamder Moment, als meine Mutter und mein Vater eintraten, als alte Leute verkleidet. Ich dachte, die lange Autofahrt hätte sie so gebeugt, hätte ihre Augen getrübt, ja sogar ihr Haar ergrauen lassen und ihre Hände und Stimmen zittrig gemacht. Und ich war, wie ich merkte, als ich mich aus dem Stuhl erhob, genauso gealtert wie sie. Ich war gebrechlich und schwach. Meine Schuhe hatte ich bei dem Unfall verloren. Ich ging zwischen den beiden, stolperte. Meine Mutter nahm meine Hand. Als wir beim Auto waren, öffnete sie die hintere Tür und legte sich auf die Rückbank. Dort lagen ein Kissen und der alte karierte Quilt. Ich setzte mich zu meinem Vater nach vorn. Er ließ den Motor an. Wir stießen einfach so zurück und fuhren los, nach Hause.
    Auf dem ganzen meilenweiten Weg, all diese Stunden über, in denen die Luft vorüberrauschte und der Himmel uns entgegenkam und sich in den nächsten Horizont wandelte und wieder in den nächsten – in all dieser langen Zeit hatten wir einander nichts zu sagen. Ich kann mich nicht erinnern, geredet zu haben, und ich kann mich nicht erinnern, dass meine Eltern geredet hätten. Ich wusste, dass sie alles wussten. Das Urteil lautete durchzuhalten. Niemand vergoss eine Träne, und da war keine Wut. Mal fuhr meine Mutter, mal mein Vater, mit nüchterner Konzentration hielten sie das Lenkrad fest. Ich kann mich nicht einmal erinnern, dass sie mich angesehen hätten, oder ich sie, seit wir im ersten Augenblick mit Schrecken erkannt hatten, wie alt wir waren. An eines erinnere ich mich aber doch: den vertrauten Anblick des kleinen Highway-Cafés kurz vor der Grenze zum Reservat. Auf jeder Reise, jedem Ausflug meiner Kindheit hatten wir dort angehalten und ein Eis bestellt, Kaffee und die Zeitung, einen Pie. Es war, was mein Vater gern die letzte Etappe unserer Reise nannte. Aber diesmal hielten wir nicht. In einem Anflug von Trauer, der bis in unsere kleine Ewigkeit fortdauern sollte, fuhren wir daran vorbei. Es ging einfach weiter.

NACHBEMERKUNG
    Dieses Buch spielt im Jahr 1988, aber das Gewirr von Regelungen, das in vielen Reservaten die Aufklärung von Vergewaltigungsfällen verhindert, gibt es bis heute. In »Maze of Injustice« (Labyrinth des Unrechts), einem Bericht von Amnesty International aus dem Jahr 2009, finden sich unter anderem folgende statistische Angaben: Eine von drei indigenen Frauen in den

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