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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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unerschöpflicher Ausdauer. Wenn das aktuelle Wetter abgegrast war, gab es ja noch sämtliches Wetter seit Beginn der Aufzeichnungen oder Wetter, das irgendwelche Verwandten erlebt oder beobachtet hatten, oder das Wetter aus dem Fernsehen. Und wenn man damit durch war, gab es noch das Wetter, das zukünftig irgendwann einmal herrschen könnte. Ich hatte ihn sogar einmal über das Wetter im Jenseits spekulieren hören. Dad und Linda Wishkob unterhielten sich ziemlich lange über das Wetter, und dann stand sie auf und ging.
    Die hast du aber echt in die Mangel genommen, Dad.
    Auf der Angebotstafel stand Hamburgersuppe, all you can eat. Wir hatten uns gerade eine zweite Portion der dampfend heißen Suppe geholt: Hackfleisch, Makkaroni, Dosentomaten, Sellerie, Zwiebeln, Salz und Pfeffer. Sie war an dem Tag ganz besonders gut. Dad hatte auch Mighty’s Coffee bestellt, den Stoiker-Kaffee, wie er ihn nannte. Er war immer verbrannt. Dad nippte unbeirrt weiter an seinem Becher, als wir mit der Suppe fertig waren.
    Ich wollte ein Gefühl dafür kriegen, wie es ihr geht, sagte er dann. Sie ist genug in die Mangel genommen worden, glaub mir.
    Ich verstand nicht ganz, was es mit diesem Gespräch mit Linda Wishkob auf sich gehabt hatte, aber offenbar hatte irgendein Austausch stattgefunden, ohne dass ich es gemerkt hatte.
    Dad hatte an dem Tag endlich erlaubt, dass Cappy mich besuchen kam. Es war ein übel heißer Nachmittag, also blieben wir im Haus und spielten, so leise wir konnten, im Luftzug desVentilators Bionic Commando. Meine Mutter schlief, wie immer. Es klopfte leise an der Tür. Ich ging aufmachen, und da stand Linda Wishkob mit ihren vorquellenden Augen, ihrer engen blauen Arbeitskleidung, ihrem verschwitzten, dumpfen, ungeschminkten Gesicht. Die langen Nägel an den dicklichen Fingern kamen mir plötzlich bedrohlich vor, trotz des unschuldig rosafarbenen Nagellacks.
    Ich warte einfach hier, bis sie aufwacht, sagte Linda.
    Sie überraschte mich damit, dass sie an mir vorüber ins Wohnzimmer ging. Sie nickte Cappy zu und setzte sich hinter uns. Cappy zuckte mit den Schultern, und da wir lange nicht mehr gespielt hatten und keinen guten Grund dafür sahen aufzuhören, spielten wir weiter: Seit Jahr und Tag schon kämpft unser Volk gegen ein unerschöpfliches Aufgebot von gierigen, labilen Wesen an. Unsere Armee besteht nur noch aus wenigen verzweifelten Kriegern, fast waffenlos und halb verhungert. Wir kosten schon den Geschmack der nahenden Niederlage. Doch tief in den Eingeweiden unserer kleinen Gemeinschaft haben Wissenschaftler eine nie dagewesene Waffe zur Perfektion gebracht. Unser bionischer Arm greift, zerschmettert, biegt sich, täuscht an und schlägt zu. Er durchdringt jede Rüstung und ortet mit seinem Wärmesensor jeden noch so gut verborgenen Feind. Der bionische Arm birgt die Kampfkraft einer ganzen Armee in sich, und nur ein einziger Soldat, der den Test besteht, darf ihn bedienen. Dieser Soldat bin ich. Oder dieser Soldat ist Cappy. Das Bionic Commando. Unsere Mission führt uns in das Land der tausend Augen, wo der Tod hinter jeder Ecke und hinter jedem Fenster lauert. Unser Ziel: Das gegnerische Hauptquartier. Das Innerste einer uneinnehmbaren Festung. Die Herausforderungen: unüberwindlich. Unsere Entschlossenheit: unerschütterlich. Unser Mut: ungebrochen. Unser Publikum: Linda Wishkob.
    Sie sah uns so vollkommen reglos zu, dass wir sie total vergaßen. Kaum dass sie mal atmete oder einen Muskel bewegte. Alsmeine Mutter aufstand und oben ins Badezimmer ging, bemerkte ich auch das nicht, aber Linda hörte es. Sie tappte zum Fuß der Treppe, und bevor ich irgendetwas unternehmen konnte, rief sie nach meiner Mutter. Dann begann sie die Treppe hochzusteigen. Ich hörte auf zu spielen und sprang auf, aber Lindas weichlicher runder Körper war schon oben angekommen, und sie begrüßte meine Mutter, als sei meine Mutter nicht knochendürr und taumelnd vor ihr zurückgewichen – desorientiert, bloßgestellt und aufgeschreckt. Linda Wishkob schien ihre Unruhe gar nicht zu bemerken. Sie folgte ihr einfach mit einer Art ahnungsloser Einfalt in ihr Zimmer. Die Tür blieb offen. Ich hörte das Bett knarren. Dann das Kratzen von Lindas Stuhl. Und dann ihre Stimmen, als die beiden zu reden anfingen.
    * * *
    Ein paar Tage darauf kam endlich ein stetig herabrauschender Regen, und ich blieb zum zweiten Mal in diesem Sommer im Haus, spielte meine Spiele und malte Comics. Angus hatte an seinem zweiten Worf-Porträt

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