Das Haus des Windes
jedenfalls gehört. Aber es redet eigentlich nie jemand von Adoptionen …
In den Stamm hinein?
Linda zeigte ihre rattigen kleinen Zähne mit einem so schlichten ermutigenden Lächeln, dass ich mich gleich sicherer fühlte und plötzlich feststellte, dass ich es wirklich wissen wollte. Ich aß noch mehr Eis. Ich sagte, dass mir das Bananenbrot wirklich geschmeckt hatte und dass mich das wunderte, weil ich Bananenbrot normalerweise überhaupt nicht mochte. Ich meine, ich vergaß in dem Moment meinen Vater und alles und fing an, richtig mit Linda zu reden. Ich ließ die Glubschaugen und die bedrohlichen Stachelschwein-Hände hinter mir und sah nur noch Linda und interessierte mich für sie, und deshalb hat sie es mir wahrscheinlich auch erzählt.
Lindas Geschichte
Ich wurde im Winter geboren, begann sie, aber dann unterbrach sie sich, um ihr Eis aufzuessen. Erst als sie die leere Schüssel weggeschoben hatte, fing sie richtig an. Mein Bruder kam zwei Minuten vor mir auf die Welt. Die Schwester hatte ihn gerade in ein blaues wärmendes Flanelltuch eingewickelt, als die Mutter sagte, O Gott, da ist noch eins , und ich halb tot herausgerutscht kam. Dann machte ich mit dem Sterben richtig ernst. Meine rosa Haut wurde graublau, woraufhin mich die Schwester in ein Bett mit Wärmelampen legen wollte. Die Schwester wurde von dem Arzt aufgehalten, der auf meinen zerdrückten Kopf, meinen Arm und mein Bein hinwies. Der Arzt stellte sich vor mich und die Schwester und wandte sich an meine Mutter: Das zweite Kind sei missgebildet, und ob sie Intensivmaßnahmen einleiten sollten, um es zu retten.
Die Antwort lautete nein.
Nein, lassen Sie es sterben. Aber während der Arzt ihr den Rücken zuwandte, säuberte die Schwester mit dem Finger meinen Mund, schüttelte mich über Kopf und wickelte mich fest in ein zweites, rosafarbenes Tuch. Ich schnappte flackernd nach Luft.
Schwester, sagte der Arzt.
Zu spät, antwortete sie.
Ich wurde mit einem am Kopf befestigten Fläschchen im Säuglingszimmer zurückgelassen, während die Kreisverwaltung über irgendeine Zwischenlösung für mich beriet. Ich war noch zu klein, um in eine staatliche Institution eingewiesen zu werden, und Mr. und Mrs. Lark weigerten sich, mich bei sich aufzunehmen. Die Nachtwächterin des Krankenhauses, eine Reservatsbewohnerin namens Betty Wishkob, bat um Erlaubnis, mich in ihren Arbeitspausen zu besuchen. Während sie mich mit dem Rücken zum Beobachtungsfenster im Arm hielt, gab Betty – Mom – mir die Brust. Sie stillte mich, und zugleich formte und rundete Mom meinen Kopf mit ihrer kräftigen Hand. Niemand im Krankenhaus ahnte, dass sie mich nachts stillte, dass sie mich verarztete und beschlossen hatte, mich zu behalten.
Das ist fünf Jahrzehnte her. Ich bin jetzt fünfzig. Als Mom bat, mich mit nach Hause nehmen zu dürfen, gab es viel Erleichterung und wenig Bürokratie, am Anfang jedenfalls. So wurde ich gerettet und von den Wishkobs aufgenommen. Ich lebte im Reservat und ging dort zur Schule wie ein indianisches Kind – erst in die Missionsstation und dann in die staatliche Schule. Aber noch davor, mit drei Jahren, wurde ich zum ersten Mal weggebracht. Ich erinnere mich noch an den Geruch von Desinfektionsmitteln und an etwas, das ich die weiße Verzweiflung nenne, und in die hinein kam eine Erscheinung, ein Jemand oder ein Etwas, das mit mir trauerte und meine Hand hielt. Diese Erscheinung blieb bei mir. Als wieder einmal ein Sozialarbeiter versuchte, ein passenderes Zuhause für mich zu finden, war ich vier. Ich stand neben Mom und klammerte michan ihren Rock – grüne Baumwolle. Ich versteckte mein Gesicht in dem Duft des erhitzten Stoffes. Dann war ich auf der Rückbank eines Autos, das geräuschlos in irgendeine unendliche Richtung raste. Ich erwachte allein in einem weißen Zimmer. Mein Bett war schmal, und die Laken waren so straff festgesteckt, dass ich strampeln musste, um herauszukommen. Ich setzte mich auf die Bettkante, und dort blieb ich, wie es mir vorkam, lange sitzen und wartete.
Wenn man klein ist, merkt man gar nicht, dass man schreit oder weint – deine Gefühle und das Geräusch, das aus dir hervorbricht, sind dann ein und dasselbe. Ich weiß nur noch, dass ich den Mund öffnete und dass ich ihn erst wieder schloss, als ich wieder bei meiner Mom war.
Jeden Morgen, bis ich elf Jahre alt war, versuchten Mom und Albert, mein Dad, meinen Kopf zu runden und meine Arme und Beine zu trainieren. Sie gaben mir einen kleinen
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