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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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lieber draußen und schnell. Sie sterben so – klack. Er schnipste mit den Fingern. Fallen um und sehen den Himmel. Die Wolken.
    Er sah uns nicht an. Er sah überhaupt nichts mehr. Mit einem Wink aus dem Handgelenk entließ er uns. Wir standen halb auf. Er war ganz weit weg. Legte die Fingerspitzen aneinander und ließ seine Stirn darauf sinken. Wir stahlen uns anihm vorbei zur Tür, stellten leise den Stuhl weg und lösten den Riegel. Behutsam schlossen wir die Tür, und dann gingen wir zu unseren Fahrrädern. Der Wind blies jetzt stärker. Rüttelte an den Gartenlaternen, dass sie flackerten. Die Fichten ächzten. Aber die Luft war warm. Ein Südwind, ein Wind von Shawanobinesi, dem Südlichen Donnervogel. Ein Regenwind.

KAPITEL SECHS
DAS DUPLIKAT
    Der Wind wälzte sich in einer brodelnden Wolkenmasse über uns hinweg, die sich einfach weiterbewegte, bis der Himmel klar wurde. Einfach so, als sei nie etwas gewesen zwischen uns, begannen mein Vater und ich uns zu unterhalten. Er erzählte, er hätte ein interessantes Gespräch mit Father Travis gehabt, und ich erstarrte. Aber es ging nur um Texas und das Militär; Father Travis hatte uns nicht verpetzt. Sämtliche Verdachtsmomente, die mein Vater an jenem Abend Edward gegenüber geäußert hatte, waren vom Tisch oder zumindest hintangestellt. Ich fragte meinen Vater, ob er mit Soren Bjerke gesprochen hatte.
    Und der Kanister?, fragte ich.
    Sachdienlich.
    Seit Father Travis abgehakt war, hatte ich über die Fallbeschreibungen und Schriftsätze nachgedacht, die mein Vater und ich durchgesehen hatten. Ich fragte, ob Bjerke schon die Larks befragt hatte, den Bruder und die Schwester.
    Mit Linda hat er geredet. Mein Vater runzelte die Stirn. Er hatte sich fest vorgenommen, mich nicht mit hineinzuziehen, mir nichts anzuvertrauen, nicht mit mir zusammenzuarbeiten. Er wusste, was dabei herauskam, wo ich hineingeraten könnte, wenn er auch das wahre Ausmaß noch nicht ahnte. Und dann war da etwas, von dem ich damals noch nichts verstand, sondern was ich erst jetzt begreife – die Einsamkeit. Ich hatte recht gehabt, als ich sagte, dass nur wir drei da waren. Oder nur wir zwei. Niemand sonst, Clemence nicht und nicht einmal meine Mutter selbst, sorgte sich so sehr um meine Mutter wie wir. Niemandsonst dachte Tag und Nacht an sie. Niemand sonst wusste, was mit ihr geschah. Niemand wünschte sich so verzweifelt wie wir zwei, mein Vater und ich, wieder leben zu können. Zu dem Davor zurückzukehren. Also blieb ihm keine Wahl. Früher oder später musste er mit mir reden.
    Ich sollte Linda Wishkob einen Besuch abstatten, sagte er. Bjerke gegenüber hat sie gemauert. Aber vielleicht … willst du mit?
    Linda Wishkob war faszinierend hässlich. Ihr Teigklops von einem Gesicht ragte im Postamt gerade so eben über den Schalter. Sie sah uns aus vorquellenden Mondkalbaugen an; ihre nassen roten Lippen waren zwei fleischige Kringel. Ihr Haar, eine Haube aus glatten braunen Fasern, bebte, als sie die Gedenkmarken hervorzog und vor meinem Vater ausbreitete. Sie erinnerte mich an ein glubschäugiges Stachelschwein, bis hin zu ihren fetten, kleinen, krallenbewehrten Pfoten.
    Mein Vater wählte einen Bogen mit den fünfzig Vereinigten Staaten aus und fragte, ob er ihr einen Kaffee spendieren dürfe.
    Es gibt hier hinten auch Kaffee, sagte Linda. Den krieg ich umsonst. Sie sah meinen Vater misstrauisch an, obwohl sie meine Mutter kannte. Jeder wusste, was passiert war, aber niemand wusste, was er sagen sollte und was nicht.
    Vergessen wir den Kaffee, sagte mein Vater. Ich würde gern mit Ihnen reden. Können Sie sich nicht vielleicht vertreten lassen? Es ist so wenig los.
    Linda öffnete die nassen Lippen zum Protest, aber ihr fiel keine gute Ausrede ein. Wenige Augenblicke später hatte sie alles mit ihrer Vorgesetzten geklärt und kam hinter dem Schalter hervor. Wir gingen raus und über die Straße ins Mighty Al’s, einen Imbiss von der Größe einer Suppendose. Ich konnte kaum glauben, dass mein Vater sie im Mighty’s verhören wollte, wo sechs bunt zusammengewürfelte Tische sich dicht zusammendrängten.Und ich sollte recht behalten. Mein Vater verhörte Linda gar nicht, sondern führte mit ihr ein sinnloses Gespräch über das Wetter.
    Mein Vater konnte jeden in Grund und Boden wettern. Wie überall sonst kam es auch hier manchmal vor, dass sich Menschen über kein anderes Thema ungezwungen unterhalten konnten, und mein Vater tat es in vollem Ernst und mit scheinbar

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