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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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den Ort gezogen. Ich blieb da draußen in der Stille. Ein Unterschied zu vorher war, dass ich den Hund, einen Nachfahren von dem, der früher die Sozialarbeiter angeknurrt hatte, jetzt im Haus wohnen ließ. Mom und Dad hatten den Fernseher in die Küche gestellt. Nach dem Abendbrot hatten sie kerzengerade auf ihren Stühlen gesessen, die Hände auf dem Tisch gefaltet, und ferngesehen. Ich ziehe mein Sofa vor. Ich habe mir einen Kamin einbauen lassen, mit Glastüren und Ventilatoren, die die Wärme in einem gemütlichen Halbrund verteilen, und da verbringe ich im Winter dieAbende mit Lesen oder Häkeln, den Hund zu meinen Füßen, während das Gemurmel des Fernsehers mir Gesellschaft leistet.
    Eines Abends klingelte das Telefon.
    Ich meldete mich mit einem schlichten Hallo. Schweigen. Dann fragte eine Frau, ob Linda Wishkob am Apparat sei.
    Ja, das bin ich, sagte ich. Mich beschlich eine seltsame Vorahnung. Ich wusste, dass irgendetwas passieren würde.
    Hier spricht deine Mutter, Grace Lark. Die Stimme klang gepresst und nervös.
    Ich legte den Hörer auf die Gabel zurück. Später lachte ich über meine Reaktion: Ich hatte meine Mutter instinktiv abgelehnt, hatte sie mir so mühelos vom Hals geschafft, wie sie es damals mit mir getan hatte.
    Wie du weißt, bin ich Postbeamtin. Ich hätte jederzeit die Adresse meiner biologischen Eltern herausfinden können. Ich hätte sie anrufen können, oder, hey, ich hätte mich in ihren Garten stellen und rumpöbeln können, wenn es mir gepasst hätte. Aber ich wollte überhaupt nichts von ihnen wissen. Warum auch? Alles, was ich dennoch wusste, tat weh, und ich bin dem Schmerz immer aus dem Weg gegangen – vielleicht habe ich deshalb nicht geheiratet und keine Familie gegründet. Es macht mir nichts aus, allein zu sein, außer wenn, na ja … An dem Abend jedenfalls kochte ich mir, nachdem ich aufgelegt hatte, einen Tee und versuchte mich mit einem Kreuzworträtsel abzulenken. Auf eins der Wörter kam ich einfach nicht. Der Hinweis war Ebenbild , mit dreizehn Buchstaben, und ich brauchte ewig und musste erst ein Wörterbuch befragen, bis ich auf das Wort Doppelgänge r kam.
    Die Erscheinung, die mich immer wieder heimsuchte, hatte ich stets für einen der Geister gehalten, die durch Bettys Bemühungen Einzug in meinen Kopf gehalten hatten. Es hatte angefangen, als sie mich damals von Betty wegholten und in das weiße Zimmer sperrten. Später hatte ich manchmal das Gefühl, es liefe jemand neben mir her oder es säße jemand hinter mir,immer ganz knapp außer Sicht. Einer der Gründe, warum ich den Hund im Haus leben ließ, war, dass er diese Erscheinung vertrieb, die im Laufe der Jahre irgendwie so ruhelos, bedürftig und hilflos geworden war. Ich hatte die Erscheinung nie mit meinem Zwillingsbruder in Verbindung gebracht, der kaum eine Autostunde entfernt aufgewachsen war, aber an jenem Abend brachte die Kombination aus dem unerwarteten Anruf und dem Wort mit den dreizehn Buchstaben mich ins Grübeln.
    Betty hatte gesagt, sie hätte keine Ahnung, wie die Larks den Jungen genannt hatten, aber wahrscheinlich wusste sie es. Natürlich bedeutete unser unterschiedliches Geschlecht, dass wir zweieiig waren und einander nicht mehr ähnelten als normale Geschwister. Als meine biologische Mutter mich anrief, beschloss ich, meinen Zwillingsbruder zu hassen und zu beneiden. Ich hatte ihre zittrige Stimme an jenem Abend am Telefon zum ersten Mal gehört. Er kannte sie schon sein ganzes Leben lang.
    Ich hatte immer geglaubt, dass ich auch meine biologische Mutter hassen würde. Aber die Frau hatte sich ganz einfach meine Mutter genannt. Mein Gehirn hatte jedes ihrer Worte genau aufgezeichnet. Den ganzen Abend und den ganzen nächsten Morgen über liefen sie in meinem Kopf in Endlosschleife. Am Ende des zweiten Tages wurde die Stimme allmählich leiser. Ich war erleichtert, als sie am dritten Tag ganz verschwand. Dann, am vierten Tag, kam der nächste Anruf von ihr.
    Sie begann das Gespräch mit einer Entschuldigung.
    Es tut mir so leid, dich zu stören! Dann fuhr sie fort, sie habe mich schon immer kennenlernen wollen, sich aber nicht getraut nachzuforschen, wo ich wohnte. Sie erzählte, dass George, mein Vater, gestorben sei, dass sie allein lebe und mein Zwillingsbruder, ein ehemaliger Postangestellter, nach Pierre in South Dakota umgezogen sei. Ich fragte, wie er heiße.
    Linden. Das war ein alter Familienname.
    War mein Name auch ein alter Familienname?, fragte ich.
    Nein, sagte

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