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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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seine ängstlichen Atemzüge fühlen konnte.
    Jetzt ist es Zeit, Sheryl anzurufen, dachte ich. Ich hätte sie schon früher anrufen sollen. Ich hatte einen Zwanzig-Dollar-Schein dabei, und sobald ich gelandet war, legte ich das Geld auf den Tisch und ging. Ich schaffte es bis zum Auto, aber bevor ich einsteigen konnte, musste ich zu dem mit Gras und Unkraut bewachsenen Rand des Parkplatzes rennen. Ich würgte, brach und weinte, als ich plötzlich Grace Larks Hand auf meinem Rücken spürte.
    Es war das erste Mal, dass meine biologische Mutter mich berührte, und ihre streichelnde Hand beruhigte mich, aber zugleich bemerkte ich diesen dummen Triumph in ihrer besänftigenden Stimme. Natürlich hatte sie die ganze Zeit gewusst, wo ich wohnte. Ich schob sie voller Abscheu von mir weg, wie ein Tier, das aus einer Falle entkommt.
    Sheryl kam gleich zur Sache.
    Ich rufe Cedric in South Dakota an. Hör zu, Tuffy, ich sageeinfach Cedric, dass er diesem Linden den Stecker ziehen soll, und du kannst die ganze Sache vergessen.
    Typisch Sheryl. Wer sonst hätte mich in so einer Situation zum Lachen bringen können? Am Vormittag danach lag ich immer noch im Bett. Ich hatte mich zum ersten Mal seit zwei Jahren krank gemeldet.
    Du denkst doch nicht ernsthaft darüber nach, sagte Sheryl. Und dann, als ich nicht antwortete, fragte sie: Oder?
    Ich weiß nicht.
    Dann rufe ich wirklich bei Cedric an. Diese Leute haben dich fallen lassen, die haben dir den Rücken gekehrt, sie hätten dich im Straßengraben verrecken lassen. Du bist meine Schwester. Ich will nicht, dass du ihnen eine Niere abgibst. Hey, was ist denn, wenn ich mal eine Niere brauche? Hast du daran mal gedacht? Spar dir deine Scheißnieren lieber für mich auf!
    Ich liebe dich, sagte Sheryl, und ich sagte dasselbe.
    Tuffy, tu’s nicht, mahnte sie, aber ihre Stimme klang besorgt.
    Als wir aufgelegt hatten, wählte ich die Nummer von dem Zettel, den Grace Lark mir zugesteckt hatte, und meldete mich im Krankenhaus zu den nötigen Tests an.
    Unten in South Dakota wohnte ich solange bei meinem Bruder Cedric, einem Kriegsveteranen, und seiner Frau Cheryl, mit C. Sie legte mir kleine Handtücher raus, auf die sie niedliche Tierbilder genäht hatte. Dazu Seifenstückchen aus verschiedenen Motels. Sie machte mir das Bett. Sie versuchte mir zu zeigen, dass sie guthieß, was ich vorhatte, anders als der Rest meiner Familie. Cheryl war sehr christlich, also passte es zu ihr.
    Aber für mich war es nicht dieses So-tut-ihnen-auch-Ding. Ich habe ja schon gesagt, dass ich Schmerzen immer aus dem Weg gegangen bin, und ich hätte keine Sekunde darüber nachgedacht, wäre die Alternative nicht so unerträglich gewesen.
    Mein ganzes Leben lang hatte ich, wissend, ohne es zu wissen, auf diesen Moment gewartet. Mein Zwillingsbruder war dieseErscheinung direkt neben mir, gerade eben außer Sicht. Sicher wusste er selbst nicht, dass er bei mir gewesen war. Aber als die Sozialarbeiter mich Betty weggenommen hatten und ich in dieser Weiße war, hatte er neben mir gesessen, meine Hand gehalten und mit mir getrauert. Und jetzt, wo ich seine Mutter kennengelernt hatte, begriff ich noch etwas. In ihrem kleinen Dorf wussten die Leute natürlich, was sie mir angetan hatte, als sie mich verließ. Bestimmt hatte sie ihre Wut auf sich selbst, ihre Scham auf jemand anderes gerichtet – auf das Kind, das sie erwählt hatte. Bestimmt hatte sie Linden die Schuld gegeben, hatte ihren verqueren Hass auf ihn übertragen. Ich hatte in ihrer Berührung die Verachtung und den Triumph erspürt. Ich war dankbar dafür, wie alles gekommen war. Vor unserer Geburt hatte mein Zwilling die Güte besessen, sich gegen mich zu werfen, mich zu vollenden, indem er mich deformierte, so dass ich diejenige wurde, die verschont blieb.
    Ich sag Ihnen was, sagte die Ärztin, eine Iranerin, die mir meine Testergebnisse zeigte und das Aufklärungsgespräch mit mir führte. Sie sind gut kompatibel, aber ich kenne Ihre Vorgeschichte. Deshalb finde ich, dass Sie fairerweise wissen sollten, dass Linden Lark an seinem Nierenversagen selbst schuld ist. Er hatte nicht bloß eine, sondern gleich zwei Kontaktverbote gegen sich laufen. Und er hat versucht, sich mit einer ordentlichen Dosis Paracetamol, Aspirin und Alkohol umzubringen. Deshalb braucht er jetzt die Dialyse. Ich finde, das sollten Sie im Kopf behalten, wenn Sie Ihre Entscheidung treffen.
    Am selben Tag setzte ich mich zu meinem Zwillingsbruder, der sagte: Du musst das nicht tun.

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