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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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Du musst hier nicht auf Jesus machen.
    Ich weiß, was du getan hast, sagte ich. Ich bin nicht religiös.
    Interessant, sagte Linden. Er starrte mich an und stellte fest: Wir sehen uns echt nicht ähnlich.
    Ich begriff, dass das nicht als Kompliment gemeint war, denn er war gutaussehend. Ich fand, er hatte von seiner Mutter die besten Züge geerbt, aber auch ihre hinterlistigen Augen und ihren Haifischmund. Seine Augen huschten im Zimmer hin und her. Immer wieder biss er sich auf die Lippe, pfiff oder spielte mit seiner Bettdecke herum.
    Bist du Postbotin?, fragte er.
    Ich arbeite meistens am Schalter.
    Ich hatte eine gute Route, sagte er, immer dieselbe. Ich kannte sie schon im Schlaf. Zu Weihnachten kriegte ich von den Leuten Postkarten, Geld, Kekse und so was alles. Ich kannte ihre Leben so genau. Ihre Gewohnheiten. Jedes Detail. Ich hätte den perfekten Mord begehen können, weißt du?
    Das erschreckte mich. Ich schwieg.
    Lark spitzte die Lippen und senkte den Blick.
    Bist du verheiratet?, fragte ich.
    Neeee … aber ’ne Freundin vielleicht.
    Es klang nach: Ich Ärmster, nach Selbstmitleid. Er sagte: Meine Freundin geht mir in letzter Zeit aus dem Weg, weil ein gewisser hochrangiger Regierungsbeamter sie dafür bezahlt, dass sie bei ihm bleibt. Ihr für kleine Gefälligkeiten Entschädigungen zahlt, falls du verstehst, was ich meine.
    Wieder war ich sprachlos. Linden erzählte, das besagte Mädchen sei noch jung und arbeite für den Gouverneur, sie sei wegen ihrer guten Noten aufgefallen, eine vorbildliche Highschool-Schönheit, die man als Praktikantin ausgewählt hatte. Eine indianische Praktikantin, mit der sich die Regierung schmücken wolle, sagte Linden. Und ich habe ihr noch geholfen, diesen Job zu kriegen. Mir war sie übrigens zu jung. Ich wollte warten, bis sie erwachsen wurde. Aber dieser gewisse hochrangige Beamte hat sie zur Frau gemacht, als ich im Krankenhaus festhing. Das macht er seitdem jeden Tag.
    Ich fühlte mich unwohl und sagte einfach irgendwas, um das Thema zu wechseln.
    Hast du jemals das Gefühl gehabt, fragte ich, dass auf deiner Route jemand dicht neben dir oder dicht hinter dir läuft? Jemand, der da ist, wenn du die Augen zu hast, und verschwindet, wenn du sie wieder öffnest?
    Nein, sagte er. Spinnst du?
    Das war ich.
    Ich ergriff seine Hand, und er ließ sie schlaff herabhängen. Wir saßen schweigend da. Nach einer Weile zog er die Hand weg und massierte sie, als hätte die Berührung ihm wehgetan.
    Nichts gegen dich, sagte er. Das war alles Mutters Idee. Ich will deine Niere nicht. Ich ekle mich vor hässlichen Menschen. Ich will kein Stück von dir in meinem Körper. Da lass ich mich lieber auf die Liste setzen. Ehrlich gesagt bist du ziemlich widerwärtig. Ich meine, tut mir leid, aber das hörst du jetzt wahrscheinlich nicht zum ersten Mal.
    Ich bin vielleicht keine strahlende Schönheit, sagte ich. Aber widerwärtig hat mich noch nie jemand genannt.
    Du hast bestimmt eine Katze, sagte er. Katzen tun so, als ob sie die Leute lieben, die sie füttern. Einen Mann oder so was wirst du wohl nie kriegen, es sei denn, du ziehst dir einen Sack über den Kopf. Aber den müsstest du nachts ja immer noch abnehmen. Oje, tut mir leid.
    Er schlug sich theatralisch die Hand vor den Mund und guckte schuldbewusst. Er gab sich selbst eine gespielte Ohrfeige. Warum sage ich so was bloß? Habe ich dich verletzt?
    Hast du das gesagt, um mich loszuwerden?, fragte ich. Ich hatte wieder das Gefühl zu schweben, wie in dem Restaurant. Vielleicht willst du ja sterben. Du willst nicht gerettet werden, oder? Aber ich bezwecke nichts damit. Du bist mir überhaupt nichts schuldig, wenn ich dich rette.
    Schuldig? Dir?
    Er wirkte ehrlich überrascht. Seine Zähne waren so ebenmäßig, fiel mir auf, dass er sicher als Kind kieferorthopädisch behandeltworden war. Er lachte, bis ich alle seine wunderschönen Zähne sah. Er schüttelte den Kopf, wedelte mit dem Finger und lachte so heftig, als sei er total überwältigt. Als ich mich unbeholfen nach meiner Handtasche bückte, lachte er, dass er fast erstickte. Ich versuchte von ihm wegzukommen, zur Tür, aber stattdessen landete ich mit dem Rücken an der Wand und kam nicht weg aus diesem weißen, weißen Raum.
    * * *
    Mein Vater saß schweigend am Tisch, die Hände gefaltet und den Kopf gesenkt. Ich wusste zuerst nicht, was ich sagen sollte, aber dann dehnte sich das Schweigen so lange, bis ich einfach sagte, was mir gerade durch den Kopf ging.
    Viele

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