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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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aufgefallen, rief er außerdem immer irgendwelche Albernheiten, wenn er nach Hause kam, so was wie: Ich bin wieder da! Aber vielleicht hatteer es vergessen. Vielleicht war er diesmal zu leise gewesen. Vielleicht war er in die Küche gegangen, genau wie immer, und hatte meine Mutter von hinten umarmt. In unserem früheren Leben hätte sie dann weiter gekocht, während er ihr über die Schulter sah und mit ihr redete. Sie hätten zusammen dagestanden wie ein kleines Tableau der Heimkehr. Irgendwann rief er mich immer zum Tischdecken. Er zog sich um, während meine Mutter und ich die letzten Handgriffe taten, und dann setzten wir uns zusammen an den Tisch. Wir waren keine Kirchgänger. Dies war unser Ritual. Unser Abendmahl, unsere Kommunion. Und es begann jedes Mal mit diesem Augenblick des Vertrauens, wenn mein Vater sich meiner Mutter näherte und sie lächelte, ohne sich umzudrehen. Aber jetzt standen sie einander gegenüber und starrten sich über die zerbrochene Schale hinweg hilflos an.
    Es war einer dieser Augenblicke, würde ich rückblickend sagen, der so oder so hätte ausgehen können. Sie hätte lachen können oder weinen, sie hätte seine Hand nehmen können. Oder er hätte auf die Knie gehen und ihr den Herzinfarkt vorspielen können, an dem er später starb. Sie hätte ihren Schrecken vergessen. Hätte ihm geholfen. Wir hätten den Boden gewischt, hätten uns Sandwiches gemacht, und das Leben wäre weitergegangen. Wenn wir uns zusammen zu Tisch gesetzt hätten, das glaube ich ganz sicher, dann hätten wir weitermachen können wie bisher. Stattdessen wurde meine Mutter dunkelrot, und ein beinahe unmerklicher Schauder überlief sie. Sie sog zitternd die Luft ein und legte eine Hand vor ihr versehrtes Gesicht. Dann stieg sie über den Scherbenhaufen hinweg und ging mit behutsamen Schritten davon. Ich wollte, dass sie schrie, dass sie schimpfte, dass sie mit Sachen um sich warf. Alles wäre mir lieber gewesen als der eisige Stillstand der Gefühle, als sie die Treppe hochging. Sie trug an dem Abend ein schlichtes blaues Kleid. Keine Strümpfe. Schwarze Minnetonka-Mokassins. Eine Stufe nach der anderen stieg sie hoch, den Blick gerade nachvorn gerichtet und die Hand fest auf dem Geländer. Ihre Schritte waren lautlos, fast so, als schwebte sie. Mein Vater und ich waren ihr bis zur Tür gefolgt und sahen ihr nach, und ich glaube, wir hatten beide das Gefühl, dass sie einem Ort der äußersten Einsamkeit entgegenging, von wo sie vielleicht nie mehr zurückkommen würde.
    Wir rührten uns nicht vom Fleck, bis die Schlafzimmertür ins Schloss gefallen war. Dann drehten wir uns um, gingen ohne ein Wort in die Küche zurück und kratzten den Auflauf und die Scherben zusammen. Gemeinsam brachten wir das Ganze nach draußen in den Müll. Mein Vater schloss den Deckel und hielt inne. Er ließ den Kopf hängen, und in dem Moment bemerkte ich zum ersten Mal eine Trostlosigkeit an ihm, die immer stärker von ihm Besitz ergreifen sollte. Als er reglos da stehenblieb, bekam ich wirklich Angst. Ich packte ihn am Arm. Ich konnte nicht ausdrücken, was ich fühlte, aber zumindest hob mein Vater diesmal den Kopf und sah mich an.
    Hilf mir mal mit den Akten. Seine Stimme klang hart und dringlich. Wir fangen gleich heute an.
    Und das taten wir. Wir luden das Auto aus. Dann klatschten wir ein paar Sandwiches zusammen. (Ein Sandwich bereitete er sorgfältiger zu und legte es auf einen Teller. Ich schnitt einen Apfel auf und drapierte die Stücke um das Brot, das Fleisch und den Salat herum. Als meine Mutter auf mein Klopfen an der Schlafzimmertür nicht antwortete, stellte ich den Teller dicht vor die Tür.) Mit den Broten in der Hand gingen wir in das Arbeitszimmer meines Vaters und beugten uns kauend und stirnrunzelnd über die Unterlagen. Wir fegten die Krümel auf den Boden. Mein Vater knipste die Lampen an. Er ließ sich am Schreibtisch nieder und bedeutete mir, mich in den Lesesessel zu setzen.
    Da ist er drin, sagte er mit einem Kopfnicken zu den Aktenstapeln hin.
    Ich begriff, dass ich ihm helfen sollte. Mein Vater behandeltemich wie einen Assistenten. Er wusste natürlich von meiner heimlichen Lektüre. Instinktiv wanderte mein Blick zu dem Cohen-Regal. Er nickte wieder, zog kaum merklich die Augenbrauen hoch und wies auf den Stapel, der mir am nächsten lag. Wir fingen an zu lesen. Und ich fing an zu begreifen, wer mein Vater war, woran er Tag für Tag arbeitete und was sein Leben ausmachte.
    Im Laufe der nächsten

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