Das Haus des Windes
Wochenende zur Ruhe legte«. Ich fegte sein kleines Arbeitszimmer und wischte die Glasplatte auf dem hölzernen Schreibtisch. Ich rückte seine Diplomurkunden gerade und staubte sie ab – von der University of North Dakota, von der University of Minnesota Law School – und tat dasselbe mit den Verdienstplaketten verschiedener juristischer Organisationen. Dazwischen hing eine Liste der Orte, für die er die Zulassung hatte, bis hoch zum U. S. Supreme Court. Darauf war ich stolz. Nebenan, in der zum Besprechungsraum umgewidmeten Abstellkammer, fegte ich ebenfalls. Ronald Reagan grinste mitroten Bäckchen, irrem Blick und Schundfilmgebiss von seinem offiziellen Porträtfoto auf mich herab. Reagan war dermaßen ignorant, dass er dachte, Indianer lebten in »Konservaten«. Daneben hingen unser Stammessiegel und das Siegel von North Dakota an der Wand. Mein Vater hatte sich eine auf alt getrimmte Version der Präambel zur Verfassung rahmen lassen und einen Ausdruck der Bill of Rights.
Ich ging ins Büro zurück und klopfte den braunen Wollteppich aus. Ich sortierte die herumliegenden Bücher weg und stellte alles ordentlich auf, unter anderem die Neuauflagen von dem alten Cohen-Handbuch bei uns zu Hause. Da war die 1958er-Ausgabe aus der Zeit, als der Kongress die Indianerstämme auflösen wollte – die blieb immer ungenutzt im Regal, als stummer Protest gegen ihre Herausgeber. Dann kamen die Faksimile-Ausgabe von 1971 und die Neuauflage von 1982 – dick und schwer und ziemlich zerlesen. Direkt daneben stand ein schmales Heft mit unseren Stammesgesetzen. Manchmal heftete ich für meinen Vater auch Papiere ab, die seine Sekretärin Opichi Wold nicht wegsortiert hatte. Opichi, deren Name Rotkehlchen bedeutete, war eine kleine, hagere, mürrische Person mit stechendem Blick. Sie fungierte als die Augen und Ohren meines Vaters im Reservat. Jeder Richter braucht so einen Kundschafter. Opichi wusste allerhand Kleinigkeiten, Tratsch, könnte man sagen, aber was sie wusste, beeinflusste oft die Richtersprüche meines Vaters. Sie wusste, wen man von der Untersuchungshaft verschonen konnte und wer untertauchen würde. Sie wusste, wer dealte und wer nur konsumierte, wer ohne Führerschein Auto fuhr, wer gewalttätig war, geläutert, alkoholabhängig, wem man seine eigenen Kinder anvertrauen konnte und wem nicht. Sie war unersetzlich, auch wenn ihr Ablagesystem ein wenig undurchsichtig war.
Die Papiere wurden alle nebenan in einem größeren Zimmer voller hellbrauner Aktenschränke aufbewahrt. Ein paar Akten lagen immer oben auf den Schränken, weil mein Vater beschlossenhatte, noch einmal darin zu lesen, oder weil er Notizen hinzufügen wollte. An dem Tag lagen große Stapel obenauf – kastanienbraune Pappordner mit sorgfältig von Opichi getippten und befestigten Etiketten. Das meiste davon waren Aktennotizen zu verschiedenen Fällen, Zusammenfassungen und Überlegungen und Entwürfe für das später veröffentlichte Urteil. Ich fragte, ob wir sie wegsortieren sollten, und befürchtete, dass wir es nicht bis zum Abendessen schaffen würden.
Wir nehmen sie mit heim, sagte mein Vater.
So etwas tat er nie. Sein Arbeitszimmer zu Hause war sein Rückzugsort von allem, was mit dem Stammesgericht zu tun hatte. Er war stolz darauf, dass er die Aufregung des Alltags dort ließ, wo sie hingehörte. Aber an dem Tag stapelten wir die Akten auf dem Rücksitz unseres Autos. Wir verstauten mein Fahrrad im Kofferraum und fuhren los.
Ich trage sie dann nach dem Essen selber rein, sagte er auf dem Weg. Also wollte er nicht, dass meine Mutter die Akten sah. Er stellte den Wagen ab, und ich holte mein Fahrrad raus und schob es hinters Haus. Mein Vater ging vor mir rein. Als ich in die Küche kam, hörte ich ein splitterndes Krachen. Dann einen durchdringenden, tiefen, schmerzerfüllten Schrei. Meine Mutter lehnte zitternd und schwer atmend mit dem Rücken an der Küchenspüle. Mein Vater stand ihr in einigem Abstand mit ausgestreckten Armen gegenüber und griff vergebens nach ihrem Umriss in der leeren Luft, als wollte er sie festhalten, ohne sie zu berühren. Auf dem Boden zwischen den beiden lag eine zerschmetterte, halb ausgelaufene Auflaufform.
Ich sah meine Eltern an und wusste gleich, was passiert war. Mein Vater war reingekommen – Mom musste doch das Auto gehört haben, und hatte Pearl nicht gebellt? Auch seine Schritte waren schwer. Er war ein lauter und, wie schon gesagt, etwas ungeschickter Mann. In letzter Zeit, war mir
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