Das Haus in den Dünen
»Vielleicht gibt es einen Vorfall in Ihrem Leben, bei dem Sie sich jemanden zum Feind gemacht haben, der jetzt Rache nehmen will.«
Bergen schüttelte den Kopf, zumindest deutete er diese Geste an. »Hören Sie, ich betreibe einen kleinen Frischemarkt auf Langeoog. Meine Waren sind gesund, meine Preise okay. Ich zahle rechtzeitig meine Steuern, ich rauche nicht, ich trinke nicht und ich habe auch sonst keine Laster. Mein Freundeskreis besteht aus lauter normalen Menschen. Was Sie sagen, ist lächerlich und klingt wie aus einem schlechten Kriminalroman.«
»Es muss kein aktueller Vorgang sein. Denken Sie an die Vergangenheit. Sagen wir, vor etwa neunzehn fahren.«
»Was soll das heißen?«, fragte Bergen.
»Ein Montag im Mai«, fuhr Trevisan unbeirrt fort. »Der 13. Mai im Jahr 1981 auf der Insel Spiekeroog. In der Dünenlandschaff im Westen. Ein einsames Haus, eine Gruppe Jugendliche, fast Kinder noch. Darunter zwei Mädchen, Zwillinge …«
Bergens Gesichtszüge verhärteten sich. Sein Atem verflachte. »Woher … woher wissen Sie das?« Verstohlen wandte er den Blick zu seinem Bettnachbarn zur Linken.
»Sie brauchen nicht zu flüstern«, erklärte Trevisan. »Ihre Zimmergenossen sind Kriminalbeamte. Sie wird es noch einmal versuchen. Beim ersten Mal hatten Sie Glück, Herr Bergen. Pures Glück.«
»Was soll das heißen?«
»Die Morde in der Umgebung von Wilhelmshaven«, erklärte Till.
Trevisan zog das Bild hervor, das er bei Grevesand gefunden hatte. Er hielt es Bergen vor die Nase. »Erkennen Sie sich wieder?«, fragte er. »Uwe Lohmann, Willo Brunken, wer war noch dabei? Hans Kropp und Bernd Grevesand? Hat Grevesand das Haus angezündet? Ist er dafür verantwortlich, dass eines der Mädchen beinahe verbrannt ist?«
Bergen standen Schweißperlen auf der Stirn. »Ich … ich kann Ihnen nicht … Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen?«
»Sie wissen, dass Sie nicht mit mir darüber reden müssen«, betonte Trevisan. »Sie können mir sagen, dass Sie nichts mit der Sache zu tun haben. Sie haben das Recht zu schweigen. Das kann Ihnen niemand verwehren.«
»Ich weiß nichts«, sagte er hastig. »Ich habe … Ich bin unschuldig.«
»Gut, dann haben Sie nichts zu befürchten«, antwortete Trevisan und steckte das Bild wieder ein. »Dann können wir ja gehen.« Trevisan fummelte in seiner Jackentasche. Er zog weitere Bilder hervor. Sie zeigten Aufnahmen der bisherigen Mordopfer. Aufnahmen, die am Fundort der Leichen aufgenommen waren. Blutige Schnappschüsse.
»Das ist Hans Kropp«, sagte er, als er Bergen das erste Bild zeigte. »Zwei Schüsse in den Körper, dann ein weiterer aus nächster Nähe in den Kopf.«
Er zeigte das nächste Bild. »Willo Brunken. Zwei Schüsse. Und das ist Uwe Lohmann. Er kam gerade aus einer Kneipe.« Er präsentierte das letzte Bild. »Bei Grevesand hat sie vier Mal geschossen. Bei ihm wollte sie offenbar ganz sichergehen, dass er nicht überlebt. Aber Sie sagen ja, Sie waren nicht dabei, damals auf Spiekeroog an diesem Montag in dem Haus in den Dünen. Kurz nach Sonnenuntergang. Das getrocknete Gras brannte wie Zunder.«
Bergen wich Trevisans Blick aus und schaute stumm an die Decke. Sein Atem ging wieder gleichmäßig. Offenbar hatte er sich beruhigt.
»Also gut, gehen wir«, sagte Trevisan zu Till und erhob sich. »Ach ja, wenn er nichts zu befürchten hat, dann ziehen wir unsere Männer wieder ab. Wir werden es merken, wenn er sich geirrt hat. Aber darauf kommt es wohl nicht mehr an. Wir werden dann einen weiteren Knopf finden.«
»Knopf?«, fragte Bergen.
»Ja, den Knopf einer Hemdbluse«, erklärte Trevisan. »Sie hat jedem ihrer Opfer einen Knopf von ihrer Bluse gewidmet. Er hat offenbar eine ganz besondere Bedeutung für die Mörderin. Aber das dürfte Sie ja nicht interessieren. Ich wünsche Ihnen gute Besserung und ein langes Leben.«
Ehe Trevisan die Tür öffnete, wandte er sich an die beiden Bettgenossen von Bergen. »Sie können dann nach Hause gehen. Wahrscheinlich haben wir uns getäuscht. Wenn nicht, werden wir es bald wissen.«
Trevisan legte die Hand an die Türklinke, doch noch bevor er öffnen konnte, rief Bergen: »Warten Sie, bleiben Sie hier! Ich … ich möchte ein Geständnis ablegen.«
Trevisan wandte sich zu ihm um. »Sie müssen das nicht tun. Aber wenn es Ihr Gewissen erleichtert und vielleicht Ihr Leben schützt, dann rate ich Ihnen dazu.« Er ging zum Fenster und blickte hinaus. Die Sonne stand hoch über dem benachbarten Gebäude. Im
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