Das Haus in den Dünen
verwaist. Auch das nächste Zimmer war leer. Draußen im Treppenhaus hörte er ein Geräusch. Er ging durch die Glastür und sah Dietmar Petermann, der vor dem geöffneten Kopierapparat kniete und an einer Kurbel drehte. Dietmar schaute erschrocken auf. »Hey, was ist in dich gefahren?«, sagte er, als er Trevisans hektischen Gesichtsausdruck bemerkte.
»Wo sind die anderen?«, fragte Trevisan. Sein Puls raste.
»Monika, Till und Anne sind in der Klinik und Alex und Tina kommen erst um zwei«, entgegnete Dietmar.
Trevisan warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ruf sie zurück! Dienstbesprechung in einer Stunde!«
»Aber … aber die Überwachung«, stotterte Dietmar.
»Das muss die Fahndung übernehmen«, erklärte Trevisan. »Ich glaube, ich weiß jetzt, wer unser Täter ist.«
»Ich weiß nicht, ob die Fahndung genügend Leute stellen kann. Möglicherweise müssen wir …«
»Ruf sie zurück, du hast eine Stunde Zeit!«, beharrte Trevisan. »Und ruf Alex und Tina an. Es ist wichtig, klar!«
Dietmar nickte entgeistert, aber Trevisan war bereits wieder hinter der Glastür verschwunden. Er eilte zurück in sein Büro und suchte im Polizeiadressbuch die Telefonnummer der Würzburger Kriminalpolizei.
45
»Unser Mörder ist eine Frau«, sagte Trevisan in den stickigen Raum.
Die Anwesenden schauten ihn ungläubig an.
»Die Morde zeigen aber keine typische Vorgehensweise für eine Frau«, antwortete Monika Sander.
»Ich hatte auch Kriminalistik«, entgegnete Trevisan. »Ich weiß, was die statistischen Untersuchungen ergeben haben, aber das hier ist keine Statistik, sondern die Realität.«
»Könnte mal jemand das Fenster öffnen?«, fragte Dietmar und handelte sich ein paar missbilligende Blicke ein.
»Und wie kommst du darauf?«, meldete sich Tina zu Wort.
»Wir haben zwei Zeugen«, erklärte Trevisan. »Beide haben unseren Täter kurz zu Gesicht bekommen und beide sprachen von leichtfüßigen Bewegungen. Außerdem wurde auf Langeoog ein Kapuzenshirt mit der Größe M aufgefunden. Es entspricht der Größe 40. Bergens Kollege ist sich ziemlich sicher, dass es sich um das Kleidungsstück handelt, das der Täter trug.«
»Es gibt auch schmächtige Männer«, wandte Till ein.
»Da gebe ich dir uneingeschränkt recht, aber betrachtet auch das einmal ein wenig genauer.« Trevisan schaltete den Laptop ein und projizierte über einen Beamer, den er sich von der Pressestelle geholt hatte, das Bild aus Grevesands Schuppen an die Wand. »Was seht ihr?«
»Nicht viel mehr als du«, unkte Dietmar. »Ein brennendes Haus und ein brennender Mensch. Vermutlich eine Frau.«
»Und was noch?« Trevisan deutete auf das Bild.
»Da steht jemand im Hintergrund«, sagte Tina. »So wie es aussieht, ebenfalls eine Frau.«
»Oder ein Mädchen«, entgegnete Trevisan. »Ein vierzehnjähriges Mädchen, das zuschauen muss, wie ihre Zwillingsschwester bei lebendigem Leib verbrennt.«
»Du meinst, Grevesand könnte mit dem Brand auf der Insel etwas zu tun haben?«, fragte Till. »Die Sache mit dem Haus in den Dünen?«
Trevisan zeigte noch einmal auf das Bild. »Seht ihr die Linien im Hintergrund?«
»Klar, das sind Hügel«, sagte Dietmar.
»Hügel, richtig«, bestätigte Trevisan. »Sandhügel vielleicht. Die Dünen auf Spiekeroog im Mai 1981, davor das brennende Haus und Lucia Oberdorf, die in Flammen steht. Und im Hintergrund Veronika, ihre Schwester. Unsere Mörderin.«
Till meldete sich zu Wort. »Soweit ich mich noch erinnere, hatte doch diese Veronika Oberdorf zugegeben, den Brand gelegt zu haben. Es war ein Unglück. Fahrlässige Brandstiftung. Der Fall ist gegen Auflagen eingestellt worden.«
»Und woher hatten sie die Zigaretten?«, wandte Trevisan ein. »Was, wenn unsere Mordopfer hinter der Sache stecken?«
»Welche Zigaretten denn?«, unterbrach Dietmar.
»Der Brand wurde ausgelöst, weil die beiden Schwestern heimlich rauchen wollten«, erklärte Till. »Dabei sind getrockneter Strandhafer und alte Zeitungen in Brand geraten, die irgendjemand dort zu einem weichen Lager aufgeschichtet hatte. Das Haus stand seit Jahren leer und war beinahe verfallen.«
»Ach so, das«, murmelte Dietmar.
Monika erhob sich und öffnete das Fenster. »Also, ich weiß nicht, Martin. Das ist nicht mehr als eine Theorie.«
»Ich habe eine Anfrage beim Kraftfahrtbundesamt gemacht«, sagte Trevisan. »Auf Veronika Oberdorf ist ein blauer Golf, Baujahr 1998, mit dem Kennzeichen WÜ-AS 4883 angemeldet. Till, kannst du dich
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