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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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gewesen. »Sei bloß vorsichtig «, sagte er mit Nachdruck, wobei er seine Stimme senkte und nervös um sich schaute. »Er wird auf den geeigneten Moment warten. Und dann wird er dich erledigen, so wie er mich erledigt hat.«
    »Er?«, fragte ich stirnrunzelnd. »Wer er?«
    »Rasputin«, zischte er, und dann zog er mich zu sich heran, um mich ungestüm zu umarmen. »Ihm habe ich mein Unglück zu verdanken. Rasputin weiß alles, Georgi«, flüsterte er mir ins Ohr. »Er behandelt uns alle, als wären wir nichts weiter als Marionetten in seinem unaufhörlichen Ränkespiel, vom Zaren und der Zarin bis hinunter zu so armen Wichten wie uns. Er hat seit Monaten mit mir gespielt.«
    »Inwiefern?«, fragte ich, als er mich aus seiner Umarmung entließ.
    Er schüttelte den Kopf und lachte bitter. »Das tut nichts zur Sache. Aber ich schäme mich in Grund und Boden, wenn ich nur daran denke. Das ist kein Mensch, von dem man möchte, dass er deine Geheimnisse kennt«, fügte er hinzu. »Er ist überhaupt kein Mensch. Er ist ein Teufel. Ich hätte ihn umbringen sollen, als ich die Gelegenheit hatte.«
    »Aber das könntest du doch nicht tun«, sagte ich entsetzt. »Nicht ohne einen triftigen Grund.«
    »Wieso nicht? Was habe ich denn noch vom Leben ohne Maria? Und wie wird ihr Leben ohne mich aussehen? Ich wette, er ist jetzt da oben und lacht sich kaputt über uns. Ich war so dumm zu glauben, er würde uns nicht verraten, wenn … wenn …«
    »Wenn was, Sergei?«
    »Wenn ich das machte, was er von mir verlangte. Ich hätte ihn umbringen sollen, Georgi. Ich hätte ihm die Kehle durchschneiden sollen, von einem Ohr bis zum andern.«
    Ich schaute hinauf zu den Palastfenstern und rechnete fast damit, wieder den finsteren Schatten zu erblicken, den ich dort in der Vergangenheit schon des Öfteren wahrgenommen hatte, doch diesmal war nichts von Vater Grigori zu sehen. Ich wünschte, ich hätte einen Blick auf den Brief werfen können, den der Zar auf seinem Schreibtisch entdeckt hatte – ich hätte zu gern den Umschlag untersucht, das Briefpapier und die Handschrift. Ich sah sie vor mir.
    Die perfekte kyrillische Handschrift.
    »Ich muss jetzt los«, sagte Sergei und sah hinüber zu seinen Bewachern, die in der Zwischenzeit drei Reitpferde besorgt hatten. »Wir werden uns nie wiedersehen, Georgi. Aber vergiss nicht, was ich dir gesagt habe! Mein Leben ist jetzt vorbei. Meins und das von Maria. Aber du und Anastasia … ihr habt noch Zeit.«
    Ich machte den Mund auf, um zu protestieren, wusste aber nicht, was er gemeint hatte. Und so sagte ich nichts weiter, sondern schaute stumm zu, wie er sich in den Sattel schwang und aus dem Palast ritt, seiner einsamen, verzweifelten Zukunft entgegen.
    Vater Grigori. Der Mönch. Der Starez. Rasputin. Wie immer man ihn nennen mochte. Er hatte seine Hand im Spiel gehabt. Natürlich hatte er das. Er hatte Sergei Stasjewitsch auf wer weiß wie viele Weisen manipuliert. Und am Ende hatte mein Freund Nein gesagt und sich gegen ihn gewandt. Und das war ihn teuer zu stehen gekommen.
    Ich hatte bereits versucht, die Ereignisse jener Nacht aus meinem Gedächtnis zu tilgen, allerdings ohne Erfolg. Tatsächlich erinnerte ich mich nur noch an sehr wenig. Der Alkohol. Die Drogen. Die Mixturen, die man mir eingeflößt hatte. Die anderen Teilnehmer dieser abartigen Zusammenkunft. Ich konnte mich kaum noch daran erinnern, was ich dort getan hatte. Ich wusste lediglich, dass ich mich dafür schämte. Ich wusste, dass ich es bedauerte – und dass ich mir wünschte, ich hätte diesen Briefumschlag nie vom Fußboden meines Schlafzimmers aufgehoben.
    Das Einzige, was jetzt für mich zählte, war Anastasia. Ich konnte nicht zulassen, dass er uns das antat, was er Sergei Stasjewitsch und Maria angetan hatte. Ich konnte nicht zulassen, dass er uns auseinanderriss. Und so gebe ich es nun zu. Ich gestehe es nun, ein für alle Mal. Ich wurde zu jemandem, der dazu bereit war, Dinge zu tun, die ich mir vorher nie hätte vorstellen können. Ich schwor mir, dass er uns beide nicht zerstören würde.
    Feinde von Vater Grigori zu finden, war nicht schwer – sie waren Legion. Sein Einfluss auf sämtliche Bereiche der Gesellschaft war mehr als erstaunlich. Während der Jahre, die er in St. Petersburg verbracht hatte, war es ihm gelungen, so viel Macht anzuhäufen, dass er nicht nur Minister, sondern auch Ministerpräsidenten aus ihren Ämtern entfernen konnte. Sein unersättlicher Geschlechtstrieb hatte unzählige Ehen in die

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