Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
den Kopf jagen, sollte sein Vetter sich weigern, Russland eine Verfassung zu gewähren, und deswegen wurde er von vielen bewundert. Doch diejenigen, die, wie Boris Alexandrowitsch, eher radikalen Gedanken anhingen, zeigten sich von solcher Courage unbeeindruckt; sie sahen nur einen Adelstitel und einen Unterdrücker, kurzum, eine Person, die Verachtung verdiente.
Die Vorstellung, dass der Großfürst in unmittelbarer Nähe weilte, reichte jedoch aus, um mein Herz vor Aufregung und Ehrfurcht höherschlagen zu lassen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann wir in Kaschin zum letzten Mal eine solche Vorfreude verspürt hatten. Als die Reiter zusehends näher kamen, fegte fast jeder im Dorf die Straße vor seiner Isba blitzblank sauber, und so entstand eine klar erkennbare Route für die Pferde unseres hochwohlgeborenen Besuchers.
»Wer mag ihn wohl begleiten?«, fragte mich meine Schwester Asja, als wir alle vor unserer Haustür standen, eine Familie, die sich versammelt hatte und darauf wartete, zu winken und Hurra zu rufen. Ihre Wangen waren noch röter geschminkt als sonst, und ihr Kleid hatte sie bis zu den Knien emporgezogen, um ihre Beine zur Geltung zu bringen. »Vielleicht einige der jungen Prinzen aus St. Petersburg?«
»Der Großfürst hat keine Söhne für dich«, erwiderte ich und lächelte sie an. »Du wirst dein Netz noch etwas weiter auswerfen müssen.«
»Na, vielleicht nimmt er ja Notiz von mir«, sagte sie achselzuckend.
»Asja!«, schrie ich, entsetzt und zugleich belustigt. »Das ist doch ein alter Knacker. Der Mann muss mindestens sechzig sein. Und verheiratet ist er auch. Glaubst du denn allen Ernstes, dass …«
»Ich ziehe dich doch nur auf, Georgi«, entgegnete sie, lachte und klopfte mir schelmisch auf die Schulter, wobei ich mir nicht ganz sicher war, ob sie mich tatsächlich nur aufzog. »Doch in seinem Gefolge wird es sicher ein paar ledige junge Soldaten geben. Sollte sich einer von denen für mich interessieren, so … he, guck nicht so schockiert! Ich habe dir doch erzählt, dass ich nicht bis ans Ende meiner Tage in diesem erbärmlichen Kaff bleiben möchte. Ich bin schließlich achtzehn Jahre alt. Es ist höchste Zeit, dass ich einen Ehemann finde – bevor ich zu alt und zu hässlich bin, um noch heiraten zu können.«
»Und was ist mit Ilja Gorijawitsch?«, fragte ich, wobei ich mich auf den jungen Mann bezog, mit dem sie viel Zeit verbrachte. Wie mein Freund Kolek war auch der arme Ilja unsterblich in Asja verliebt, und sie schenkte ihm dafür ein bisschen Zuneigung, was ihn zweifellos in dem Glauben bestärkte, sie würde sich ihm irgendwann ganz hingeben. Ich bemitleidete ihn wegen seiner Dummheit. Ich wusste, dass er für meine Schwester kaum mehr als ein Spielzeug war, eine Marionette, an deren Fäden sie zog, um sich die Langeweile zu vertreiben. Eines Tages würde sie ihre Puppe beiseitewerfen, das war klar. Es würde sich ein besseres Spielzeug finden – ein Spielzeug aus St. Petersburg vielleicht.
»Ilja Gorijawitsch ist ein netter Junge«, sagte sie mit einem gleichgültigen Achselzucken. »Aber ich glaube, dass er mit einundzwanzig bereits alles ist, was er jemals sein wird, und ich bin mir nicht sicher, ob mir das reicht.«
Ich spürte, dass ihr noch weitere unnötigerweise abschätzige Kommentare zu diesem gutherzigen Tropf auf der Zunge brannten, doch nun waren die Soldaten fast bei uns angelangt. Wir konnten die sie anführenden Offiziere erkennen, die hoch auf ihren Pferden langsam die Straße entlangparadierten, prächtig anzuschauen in ihren schwarzen, zweireihigen Blusen, grauen Hosen und schweren dunklen Mänteln. Ich bestaunte die aus Pelz gefertigten Tschapkas auf ihren Köpfen, fasziniert von dem scharfen V, das deren Vorderseite genau über den Augen durchschnitt, und ich malte mir aus, wie herrlich es sein müsste, dieser Truppe anzugehören. Sie ignorierten das frenetische Hurrageschrei der Bauern am Straßenrand, die den Zaren hochleben ließen und ihre Girlanden vor die Hufe der Pferde schleuderten. Genau dies wurde schließlich von uns erwartet.
Vom Krieg bekamen wir in Kaschin kaum etwas mit, doch hin und wieder zog ein Händler durch unser Dorf und berichtete uns von den Erfolgen und Misserfolgen des Militärs. Gelegentlich wurde einem unserer Nachbarn von einem wohlmeinenden Verwandten ein Flugblatt zugestellt, und wir durften es alle der Reihe nach lesen, wobei wir uns ausmalten, wie der Vormarsch der Armeen vonstattenging. Einige junge
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