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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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Namen meines Freundes herausschrie – »Kolek! Nein !« – und mich durch eine Lücke zwischen den vorüberziehenden Reitern zwängte. Als ich dann quer über die Straße rannte, spürten die Soldaten sofort, dass etwas im Busch war, und drehten ihre Köpfe in meine Richtung, um zu sehen, was sich da abspielte. Mein Freund sah mich jetzt ebenfalls und schluckte nervös, bevor er seine Pistole hob und auf Nikolaus Nikolajewitsch zielte, der, nun unmittelbar vor ihm, sich schließlich herabließ, seinen Kopf zu drehen und auf den jungen Mann zu seiner Linken zu schauen. Er muss den Stahl in der Luft aufblitzen gesehen haben, hatte aber keine Zeit mehr, um seine eigene Schusswaffe zu ziehen oder sein Pferd herumzureißen und sich in Sicherheit zu bringen, denn fast im selben Augenblick ging die Pistole mit einem lauten Donnerschlag los. Sie sandte ihren mörderischen Pulverdampf in Richtung des Vetters und engsten Vertrauten des Zaren, genau in dem Moment, als ich mich, ohne auch nur einen Gedanken an die möglichen Folgen meines Tuns zu verschwenden, zwischen den Großfürsten und die Kugel warf.
    Da war ein plötzlicher Feuerblitz, ein stechender Schmerz, ein entsetzter Aufschrei der Menge, und ich stürzte zu Boden, wobei ich fest damit rechnete, dass mein Schädel jeden Moment von den beschlagenen Hufen der massigen Pferde zermalmt werden würde, selbst als mir ein Schmerz, wie ich ihn vorher noch nie verspürt hatte, durch die Schulter raste – ein Gefühl, als hätte jemand eine Eisenstange genommen und diese in einem Ofen bis zur Weißglut erhitzt, um sie mir dann durch mein unschuldiges Fleisch zu bohren. Ich schlug hart auf dem Boden auf und empfand mit einem Mal ein tiefes Gefühl von Ruhe und Frieden. Dann wurde mir schwarz vor Augen, und die Geräusche um mich herum erstarben. Die Menge schien in einem Nebelschleier zu verschwinden, und schließlich war da nur noch eine leise Stimme übrig, die mir in meinem Kopf zuflüsterte, ich solle einschlafen – Schlaf ein, Pascha! –, und ich gehorchte ihrem Befehl.
    Ich schloss die Augen und versank auf der Stelle in einer tiefen Finsternis.
    Das Erste, was ich beim Aufwachen erblickte, war das Gesicht meiner Mutter, Julia Wladimirowna, die mir einen feuchten Lappen auf die Stirn presste und mit einer Mischung aus Verärgerung und Besorgnis auf mich hinabstarrte. Ihre Hand zitterte leicht, und mütterlichen Trost zu spenden, fiel ihr offenbar genauso schwer, wie es mir schwerfiel, diesen zu empfangen. Asja und Liska standen flüsternd in einer Ecke herum, während die kleine Tajla mich mit einem kalten und gleichgültigen Gesichtsausdruck musterte. Ich fühlte mich kein bisschen als ein Teil dieser ungewöhnlichen Szene und starrte die anderen ebenfalls an, völlig verwirrt, denn ich fragte mich, was wohl der Anlass zu einem solchen Gefühlsausbruch sein mochte, bis mich ein plötzlich aufbrandender Schmerz in meiner linken Schulter das Gesicht verziehen ließ, und als ich mit der Hand an die verletzte Körperstelle fasste, um den Druck zu lindern, entfuhr mir ein qualvoller Schrei.
    »Da musst du vorsichtig sein«, hörte ich eine laute, tiefe Stimme im Rücken meiner Mutter sagen, und als diese Worte erklangen, zuckte sie sichtlich zusammen, und ihre Miene nahm einen Ausdruck von Angst und Beklemmung an. Ich hatte sie noch nie dermaßen eingeschüchtert erlebt und dachte im ersten Moment, es sei mein Vater, Daniil, der ihr befahl, ihm Platz zu machen, doch es war nicht seine Stimme. Mein Sehvermögen war ein wenig getrübt, und ich zwinkerte einige Male schnell hintereinander, bis sich der Nebel zu lichten begann und ich wieder klar sehen konnte.
    Ich erkannte nun, dass es nicht mein Vater war, der über mir stand, denn dieser befand sich weiter hinten in unserer Hütte und beobachtete mich mit einem angedeuteten Lächeln auf dem Gesicht, ein Anblick, der seine emotionale Verwirrung verriet, eine Mischung aus Stolz und Feindseligkeit. Nein, die Stimme, die sich an mich gerichtete hatte, war die des Oberbefehlshabers der russischen Streitkräfte, des Großfürsten Nikolaus Nikolajewitsch.
    »Nicht bewegen«, sagte er, wobei er sich über mich beugte, um meine Schulter zu inspizieren. Seine Augen verengten sich, als er die Verletzung näher betrachtete. »Du bist verwundet worden, aber die Sache ist glimpflich ausgegangen. Das Projektil ist mitten durch das weiche Gewebe deiner Schulter gegangen, ohne die Arterien oder die Vene zu treffen – ein glatter

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